Der Göttinger Organspendeskandal – und das Ruhegehalt des Chefarztes

Das Verwaltungsgericht Göttingen hat in der Folge des sog. „Göttinger Organspendeskandals“ einem früheren verbeamteten Professor und Chefarzt der Göttinger Universitätsmedizin das Ruhegehalt aberkannt.

Der Chefarzt war bis zu einem von der Dienstherrin im Juli 2012 ausgesprochenen Amtsführungsverbot als Leiter der Abteilung für Gastroenterologie und Endokrinologie im Zentrum für Innere Medizin der Universitätsmedizin Göttingen tätig. Die Dienstherrin machte im Disziplinarklageverfahren geltend, dass dieser eine der zentralen Figuren des sog. Göttinger Organspendeskandals und für diverse Manipulationen von Blutwerten verantwortlich gewesen sei. Eine weitere Beschäftigung des Chefarztes, der während des Gerichtsverfahrens in den Ruhestand trat, habe daher aufgrund eines endgültig eingetretenen Vertrauensverlusts nicht mehr zumutbar erfolgen können.

Die zugrundeliegenden Umstände des Göttinger Organspendeskandals waren zuvor bereits Gegenstand umfassender strafrechtlicher Ermittlungen waren, die zunächst zur Aussetzung des gegen den Chefarzt geführten Disziplinarverfahrens geführt hatten. Nach dem durch Urteil des Landgerichts Göttingen1) erfolgten Freispruch des seinerzeit zunächst allein angeklagten Operateurs, bestätigt durch den Bundesgerichtshof2, waren auch die übrigen Strafverfahren eingestellt und das Disziplinarverfahren gegen den Chefarzt wiederaufgenommen worden.

Dagegen machte der Chefarzt geltend, von etwaigen Blutwert-Manipulationen zur Steigerung der Chancen auf Erhalt eines Spenderorgans nichts gewusst zu haben, da für die entsprechenden Entscheidungen allein der seinerzeit angeklagte Operateur zuständig gewesen sei, der auch persönlich von den gesteigerten Transplantationszahlen profitiert habe.

Dieser Argumentation des ehemaligen Chefarztes ist das Verwaltungsgericht Göttingen nicht gefolgt. Vielmehr ist es auch angesichts der Aussagen einiger bereits im Ermittlungsverfahren gegen den Chefarzt vernommener Zeugen zu der Überzeugung gelangt, dass der Chefarzt im Zeitraum der Jahre 2009 bis einschließlich 2011 in mindestens elf Fällen für die Manipulation von Laborwerten verantwortlich gewesen sei, um den von seinen Patienten erreichten MELD-Score und damit die Chancen auf Zuteilung eines Spenderorgangs zu erhöhen. Auch wenn ihm kein eigenhändiges Handeln nachzuweisen sei, habe er jedenfalls seine Mitarbeiter in konkreten Fällen angewiesen, Manipulationen vorzunehmen und damit seine Führungsposition missbraucht. Überdies habe der Chefarzt für die Behandlung eines Transplantationspatienten einen Geldbetrag in Höhe von 30.000 Euro ohne Berechtigung vereinnahmt, verschwiegen und erst auf späteren Vorhalt an die Dienstherrin abgeführt.

Die Schwere des vorliegenden Dienstvergehens führe zu einem endgültigen Vertrauensverlust, der bei Beamten im Ruhestand nach § 14 Abs. 2 Satz 2 NDiszG die Aberkennung des Ruhegehalts gebiete. Die Kammer teile die Bewertung der Dienstherrin, wonach das vorsätzliche Erschleichen von unberechtigten Organzuweisungen die Grundlagen des ärztlichen Berufs erschüttere.

Verwaltungsgericht Göttingen, Urteil vom 16. März 2022 – 5 A 6/18

  1. LG Göttingen, Urteil vom 06.05.2015 – 6 Ks 4/13 []
  2. BGH, Urteil vom 28.06.2017 – 5 StR 20/16 []