Der Soldat und die Kinderpornos

Das Zugänglichmachen kinderpornographischer Inhalte indiziert unabhängig davon die disziplinarische Höchstmaßnahme, ob dem Verhalten eine pädophile oder eine masochistische Sexualpräferenz zugrunde liegt. Eine Wehrbeschädigung kann in diesem Zusammenhang grundsätzlich nicht als mildernder Umstand gewertet werden.

Im hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall steht in tatsächlicher Hinsicht fest, dass der frühere Soldat die angeschuldigten Taten begangen hat. Dies folgt aus den gemäß § 123 Satz 3 in Verbindung mit § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO bindenden tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts Syke vom 08.02.2016 in Verbindung mit dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Verden vom 31.07.2017 und der geständigen Einlassung des früheren Soldaten.

. Der frühere Soldat hat damit ein Dienstvergehen begangen (§ 23 Abs. 1 SG). Er hat vorsätzlich und schuldhaft seine außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 SG in der im Tatzeitraum geltenden Fassung vom 30.05.20051 verletzt.

Danach hat sich ein Soldat außer Dienst und außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt.

Eine solche ernsthafte Beeinträchtigung ist regelmäßig anzunehmen, wenn – wie hier – eine Straftat begangen wird, die mit einer Freiheitsstrafe im mittleren Bereich sanktioniert werden kann2. Mit dem 18-maligen Versenden von insgesamt 17 kinderpornographischen Dateien an insgesamt 14 verschiedene Personen hat sich der frühere Soldat jeweils nach § 184b Abs. 2 StGB in der Fassung vom 31.10.20083 – im Folgenden: StGB 2008 – strafbar gemacht, der die Verhängung einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren ermöglicht. Denn er hat es insoweit jeweils vorsätzlich unternommen, einem anderen den Besitz von kinderpornographischen Schriften – denen nach § 11 Abs. 3 StGB in der maßgeblichen Fassung vom 15.12.20044 Ton- und Bildträger sowie Datenspeicher gleichstehen – zu verschaffen, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben. Mit dem vorsätzlichen Sichverschaffen des Besitzes an den 572 kinderpornographischen Dateien hat er sich gemäß § 184b Abs. 4 Satz 1 StGB 2008 und mit dem Besitz daran nach § 184b Abs. 4 Satz 2 StGB 2008 strafbar gemacht, welche jeweils die Verhängung einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren ermöglichen.

Aufgrund der insoweit bindenden tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil steht auch fest, dass die Schuldfähigkeit des früheren Soldaten nicht entsprechend § 20 StGB in der maßgeblichen Fassung vom 13.11.19985 – im Folgenden: § 20 StGB a. F. – ausgeschlossen war, er also schuldhaft gehandelt hat.

. Bei Art und Maß der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 in Verbindung mit § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen. Insoweit legt das Bundesverwaltungsgericht ein zweistufiges Prüfungsschema zugrunde:

Auf der ersten Stufe bestimmt er zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle und im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Diese besteht beim Besitz kinderpornographischer Schriften und beim Unternehmen des Sichverschaffens des Besitzes daran in einer Dienstgradherabsetzung. In Fällen des Verbreitens derartiger Schriften, ihres Zugänglichmachens in der Öffentlichkeit und des Unternehmens der Besitzverschaffung an eine andere Person ist im Regelfall die Höchstmaßnahme tat- und schuldangemessen6. Da der frühere Soldat es auch unternommen hat, anderen den Besitz an kinderpornographischen Schriften zu verschaffen, ist Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Höchstmaßnahme. Diese besteht für ihn gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Satz 2 WDO in der Aberkennung des Ruhegehalts.

Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die ein Abweichen von der Regelmaßnahme gebieten. Dies ist hier nicht der Fall.

Zu Lasten des früheren Soldaten fallen mehrere Umstände ins Gewicht.

Das Dienstvergehen wiegt nach Eigenart und Schwere sehr schwer. Denn der frühere Soldat hat wiederholt gehandelt, indem er es durch 18 Taten unternommen hat, den Besitz an 17 inhaltlich verschiedenen Dateien insgesamt 14 anderen Personen zu verschaffen. Die Einzeltaten erstreckten sich über einen langen Zeitraum von etwa eineinhalb Jahren.

Hinzu treten das Sichverschaffen und der Besitz der erheblichen Anzahl von 572 kinderpornographischen Dateien. Dabei kann dahinstehen, ob vorliegend der Auffangtatbestand des Besitzes kinderpornographischer Schriften – entsprechend dem Regelfall – hinter dem Unternehmen des Sichverschaffens des Besitzes daran zurücktritt oder ob einer strafrechtlichen Verfolgbarkeit der letztgenannten Tatbestände das Verfahrenshindernis der Verjährung (§ 78 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 4, § 78a Satz 1, § 78c StGB) entgegensteht, wodurch der subsidiäre Besitztatbestand wieder aufleben würde7. Denn in disziplinarischer Hinsicht kommt dem hier strafrechtlich ausschließlich geahndeten Besitz kinderpornographischer Dateien neben den Beschaffungshandlungen kein eigenständiges erschwerendes Gewicht zu8. Wenn – wie hier – beide Straftatbestände erfüllt sind, kommt dem daher dasselbe Gewicht zu, wie wenn nur einer der beiden Straftatbestände erfüllt ist und fristgerecht strafrechtlich geahndet wurde.

Weiter erschwerend fällt ins Gewicht, dass der frühere Soldat zur Tatzeit wegen seines Dienstgrads als Stabsfeldwebel eine Vorgesetztenstellung innehatte (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 SG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VorgV). Nach § 10 SG war er damit zu vorbildlicher Pflichterfüllung verpflichtet. Wer in dieser Stellung eine Pflichtverletzung begeht, gibt ein schlechtes Vorbild ab, was das Gewicht seines Dienstvergehens erhöht9. Dies gilt auch bei außerdienstlichem strafbaren Fehlverhalten10. Es ist nicht erforderlich, dass der frühere Soldat es innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat fehlen lassen. Es genügt das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrads11.

Die Beweggründe des früheren Soldaten sprechen ebenfalls gegen ihn. Er hat aus eigennützigen Motiven und Gleichgültigkeit gegenüber den in den Dateien abgebildeten Kindern gehandelt, um seine sexuell-masochistischen Neigungen durch das Eingehen eines Unterwerfungsverhältnisses gegenüber seinen Chatpartnern zu befriedigen. Dass bei ihm keine pädophilen Neigungen festgestellt wurden, entlastet ihn nicht. Denn für die Disziplinarwürdigkeit des Besitzes, Sichverschaffens und Zugänglichmachens kinderpornographischer Dateien ist es – ebenso wie für die Strafbarkeit – unerheblich, ob der Täter pädophil ist. Dieser Umstand ist weder für den Grad der Beeinträchtigung der Rechte der abgebildeten missbrauchten Opfer noch für den durch die Taten geleisteten Beitrag zur Aufrechterhaltung eines Marktes für kinderpornographische Dateien von Bedeutung. Auch der Umfang der durch ein solches Fehlverhalten bewirkten Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen einem Soldaten und dem Dienstherrn hängt nicht davon ab, ob der Täter pädophil ist oder nicht12.

Das Dienstvergehen hatte zudem nicht nur nachteilige Auswirkungen für die abgebildeten Kinder, in deren Persönlichkeitsrechte nach Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG durch die Taten eingegriffen wurde, sondern auch für den Dienstherrn. Denn der frühere Soldat war die letzten gut 21 Monate bis zu seinem Dienstzeitende vorläufig des Dienstes enthoben.

Eine vorläufige Dienstenthebung ist zu Lasten des betreffenden Soldaten zu gewichten, wenn er sie durch sein Verhalten verursacht hat, dem Bund dadurch ein erheblicher finanzieller Schaden entstanden ist und die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung13 keinen durchgreifenden Zweifeln unterliegt14. Diese Voraussetzungen liegen vor. Denn ein besonderer Grund ist bei Anordnungen nach § 126 Abs. 1 WDO regelmäßig jedenfalls dann gegeben, wenn – wie hier – mindestens eine Dienstgradherabsetzung im Raum steht und der Dienstbetrieb bei einem Verbleib des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde15. Infolge der vorläufigen Dienstenthebung stand die Arbeitskraft des früheren Soldaten seinem Dienstherrn trotz hälftiger Fortzahlung der Dienstbezüge nicht zur Verfügung.

Ohne Erfolg beruft sich der frühere Soldat darauf, dass sein Dienstherr diese nachteiligen Folgen durch eine von ihm beantragte Versetzung in den Ruhestand vor Erreichen der Altersgrenze nach dem Gesetz zur Anpassung der personellen Strukturen der Streitkräfte (SKPersStruktAnpG) hätte vermeiden können. Denn dazu war der Dienstherr nicht verpflichtet. Ein Soldat hat auf eine Versetzung in den Ruhestand vor Erreichen der Altersgrenze keinen Anspruch16. Eine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand nach § 2 SKPersStruktAnpG ist allein dem öffentlichen Interesse zu dienen bestimmt. Maßgebend ist, ob sie dienstlich geboten ist17.

Demgegenüber sprechen für den früheren Soldaten folgende Umstände:

Er hat solide dienstliche Leistungen erbracht. Dies ergibt sich aus seiner letzten planmäßigen Beurteilung vom …08.2012, den Aussagen der Leumundszeugen in der Berufungshauptverhandlung, den förmlichen Anerkennungen von 1994, 1996 und 1999, dem 2004 verliehenen Ehrenkreuz der Bundeswehr in Silber und den weiteren Trageberechtigungen des früheren Soldaten.

Zudem hat sich der frühere Soldat in zwei Auslandseinsätzen bewährt. Dabei fällt allerdings im vorliegenden Fall nicht zusätzlich mildernd ins Gewicht, dass er eine Wehrbeschädigung mit einem Grad der Schädigungsfolgen von „dreißig“ davongetragen hat. Denn insoweit ist bereits durch die Gewährung des Ausgleichs nach § 85 SVG und der Grundrente gemäß § 80 SVG eine Kompensation erfolgt, die den früheren Soldaten nach § 49 Abs. 3 SG auch bei Aberkennung des Ruhegehalts erhalten bleibt18. Im Übrigen fehlt ein spezifischer Zusammenhang von angeschuldigtem Verhalten und Wehrbeschädigung.

Des Weiteren hat sich der frühere Soldat geständig eingelassen. Dem ist jedoch kein großes Gewicht beizumessen, weil er angesichts der Ergebnisse der Auswertung seiner Datenträger auch ohne Geständnis überführt worden wäre.

Ferner hat der frühere Soldat sein Verhalten glaubhaft bedauert.

Schließlich ist zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er nach den Feststellungen des Sachverständigen im Tatzeitraum – auch aufgrund der Folgen seiner Auslandseinsätze – insgesamt psychisch deutlich stärker labilisiert und vulnerabler gewesen ist als in vorherigen Lebensphasen.

Weitere mildernde Umstände sind indes nicht ersichtlich.

Insbesondere war der frühere Soldat zu den Tatzeitpunkten uneingeschränkt schuldfähig. Auf der Grundlage des in der Berufungshauptverhandlung erstatteten Gutachtens des Sachverständigen steht zur Überzeugung des Bundesverwaltungsgerichts fest, dass der frühere Soldat die Taten nicht im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB beging.

Die richterliche Entscheidung, ob im Sinne des § 21 StGB die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 StGB a. F. bezeichneten Gründe zum Zeitpunkt des Dienstvergehens erheblich vermindert war, erfolgt mehrstufig. Zunächst ist festzustellen, ob beim Täter zu den Tatzeitpunkten eine psychische Störung vorlag, die ein solches Ausmaß erreichte, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB a. F. zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Begehung der Taten beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist das Gericht jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB a. F. bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds ebenso wie bei der Prüfung der aufgehobenen oder erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit um vom Gericht zu beantwortende Rechtsfragen19. Lässt sich nach erschöpfender Sachaufklärung ohne vernünftigen Zweifel ein Sachverhalt nicht ausschließen, der eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit ergibt, ist dieser Gesichtspunkt zugunsten des Täters in die Gesamtwürdigung einzustellen20.

Danach ist ohne vernünftige Zweifel auszuschließen, dass beim früheren Soldaten zu den Tatzeitpunkten eine psychische Störung eines solchen Ausmaßes vorlag, dass sie unter das allein in Betracht kommende Eingangsmerkmal einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB a. F. fällt.

Nach den Feststellungen des Sachverständigen bestanden beim früheren Soldaten im Tatzeitraum eine von chronischen Schlafstörungen und Kopfschmerzen begleitete, als „nicht zu schwer“ eingeschätzte depressive Störung mit mittelgradigen Episoden21, ein Missbrauch von Analgetika22, eine sexuell-masochistische Störung23 sowie eine sonstige Reaktion auf eine schwere Belastung24, nicht hingegen eine posttraumatische Belastungsstörung, eine Pädophilie und eine Persönlichkeitsstörung.

Diese Diagnosen hat der Sachverständige in der Berufungshauptverhandlung nachvollziehbar erläutert. Die mit chronischen Schlafstörungen und Kopfschmerzen verbundene depressive Störung und der Medikamentenmissbrauch, vor allem von Paracetamol, werden durch zahlreiche Dokumente in der Gesundheitsakte des früheren Soldaten und dessen Angaben gegenüber dem Sachverständigen, den behandelnden Ärzten und dem Gericht ungeachtet dessen bestätigt, dass die Angaben des früheren Soldaten zur Menge der konsumierten Medikamente variieren. Die sexuell-masochistische Störung hat der Sachverständige diagnostiziert, weil beim früheren Soldaten nach dessen konsistenten Erläuterungen über einen längeren Zeitraum sexuelle Erregung im Zusammenhang mit einem Gedemütigt- und Gefesselt-Werden und dem Wunsch nach vollständiger Kontrolle durch das Gegenüber bestand; der Sachverständige hat dafür mit dem beim früheren Soldaten im Kindesalter operativ versorgten Hodenhochstand und einer erst sehr spät operativ versorgten Phimose, die Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und damit eine Kombination von Schmerz und Erregung verursachte, auch eine plausible Ursache aufgezeigt. Die sonstige Reaktion auf eine schwere Belastung hat der Sachverständige nachvollziehbar aus den andauernden Schuldgefühlen des früheren Soldaten wegen der Tötung einer anderen Person während eines Schusswechsels in seinem Afghanistan-Einsatz, der darauf bezogenen erhöhten Schreckhaftigkeit des früheren Soldaten und dessen damit im Zusammenhang stehenden wiederkehrenden Traum abgeleitet.

Eine in der Bescheinigung des Diplompsychologen und Psychologischen Psychotherapeuten … vom 01.07.2017 angenommene posttraumatische Belastungsstörung hat der Sachverständige mangels intrusiver Flashbacks überzeugend ausgeschlossen, was sich mit der Diagnose in den zahlreichen Berichten des Bundeswehrkrankenhauses … aus den Jahren 2015 bis 2018 deckt. Hinweise auf eine Pädophilie ergaben sich aus den vom Sachverständigen angewandten standardisierten Testverfahren nicht; vielmehr haben diese die Selbsteinschätzungen des früheren Soldaten bestätigt, dass er heterosexuell ist und sich sein sexuelles Interesse auf postpubertäre Frauen beschränkt. Eine Persönlichkeitsstörung hat der Sachverständige angesichts der beruflichen und sozialen Einbindung des früheren Soldaten nachvollziehbar verneint.

Die festgestellten psychischen Störungen des früheren Soldaten im Tatzeitraum erreichten nach den schlüssigen Erwägungen des Sachverständigen weder jeweils für sich genommen noch in ihrer Kumulation den Schweregrad einer anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB a. F.

Dies gilt zunächst für die im Vordergrund stehende sexuell-masochistische Störung. Nicht jedes sexuell abweichende Sexualverhalten ist ohne Weiteres mit einer schweren anderen seelischen Abartigkeit gleichzusetzen. Es kann im Einzelfall eine schwere andere seelische Abartigkeit und eine hierdurch beeinträchtigte Steuerungsfähigkeit begründen, wenn Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz der devianten Handlungen, Ausbau des Raffinements und gedankliche Einengung des Täters auf diese Praktik auszeichnen. Ob die sexuelle Devianz einen solchen Ausprägungsgrad erreicht, der dem Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit zugeordnet werden kann, ist aufgrund einer Gesamtschau der Täterpersönlichkeit und seiner Taten zu beurteilen. Dabei kommt es darauf an, ob die sexuellen Neigungen die Persönlichkeit des Täters so verändert haben, dass er nicht die zur Bekämpfung seiner Triebe erforderlichen Hemmungen aufzubringen vermag25.

Dies hat der Sachverständige beim früheren Soldaten für den Tatzeitraum nachvollziehbar verneint. Er hat festgestellt, dass die paraphile Symptomatik beim früheren Soldaten im Tatzeitraum nicht seine Sexualität weitestgehend bestimmte, progredient war oder ihm aufgrund seiner Persönlichkeitseigenschaften oder sexuellen Funktionsstörungen keine anderen Möglichkeiten sexueller Kontakte zur Verfügung standen. Denn die klassischen Merkmale des süchtigen Erlebens wie zunehmende Frequenz und abnehmende Befriedigung, süchtiges Erleben, dranghafte Unruhe, Progression im Längsschnitt, subjektives Gefühl von Triebstärke und Wunsch nach Behandlung lagen nach seiner Analyse beim früheren Soldaten nicht vor26. Diese Feststellungen stehen im Einklang mit den Angaben des früheren Soldaten zu seinem Chatverhalten und dem Inhalt seiner Chatkommunikationen. So hat der frühere Soldat etwa erklärt, er habe täglich nur kurze Zeit am Computer und im Verlauf auf keinen Fall mehr, sondern eher weniger Zeit mit dem verfahrensgegenständlichen Verhalten verbracht; tagsüber habe ihn das wegen seiner Arbeit gar nicht beschäftigt. Auch war der frühere Soldat in der Lage, ohne Weiteres seine Chatkommunikationen zu beenden, wenn er etwa müde war oder den Haushalt machen wollte. Dem entspricht es, dass er in der Berufungshauptverhandlung wiederholt erklärt hat, seine sexuell-masochistischen Verhaltensweisen inzwischen gänzlich eingestellt zu haben.

Die sexuell-masochistische Präferenzstörung erreichte im Tatzeitraum auch nicht zusammen mit den weiteren psychischen Beeinträchtigungen des früheren Soldaten den Schweregrad einer anderen seelischen Abartigkeit. Insoweit sind der Ausprägungsgrad aller festgestellten Störungen und der Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit entscheidend27. Maßgeblich ist, ob die Symptome in ihrer Gesamtheit das Leben des Betroffenen vergleichbar schwer und mit ähnlichen – auch sozialen – Folgen stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen28. Von wesentlicher Bedeutung ist dabei, ob es infolge der die Störungen begründenden Verhaltens- und Erlebnisbesonderheiten auch im Alltag zu Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist29. Denn nur dann ist anzunehmen, dass nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervorgetreten sind, die sich im Rahmen dessen halten, was auch bei voll schuldfähigen Menschen anzutreffen und oft Ursache für strafbares Verhalten ist30.

Das Bundesverwaltungsgericht teilt die Einschätzung des Sachverständigen, dass dies beim früheren Soldaten nicht der Fall war. Der frühere Soldat hat sich zwar nach eigenen Angaben beruflich überfordert gefühlt, hat aber nach den Beschreibungen des Leumundszeugen A. nicht den Eindruck einer Überforderung erweckt und insgesamt zufriedenstellende dienstliche Leistungen erbracht. Der Leumundszeuge B. hat in der Berufungshauptverhandlung erläutert, er habe vom früheren Soldaten als stellvertretendem Zugführer einen sehr guten militärischen Eindruck gehabt und nur Mängel in der zwischenmenschlichen Kommunikation gesehen. In der letzten planmäßigen Beurteilung vom 14.08.2012 – etwa ein halbes Jahr vor Beginn des Tatzeitraums – wurde der frühere Soldat als engagiert, motiviert und beispielgebend für jüngere Kameraden beschrieben. Mit Schreiben vom 27.05.2014 – kurz vor Ende des Tatzeitraums – beantragte er ein Personalgespräch in Bezug auf eine mögliche Förderung. Er lebte im Tatzeitraum bei seinen Eltern und kümmerte sich gemeinsam mit seiner Schwester um seine pflegebedürftige Mutter. Im Ambulanzbrief des Bundeswehrkrankenhauses … vom 28.04.2014 heißt es, er fahre Moped und versuche, im Sport Ausgleich zu finden. Im Kurantrag von Anfang Mai 2014 wird ausgeführt, der frühere Soldat führe ein solides Leben und treibe zum Ausgleich Fitness und Sport. Des Weiteren hatte der frühere Soldat im Tatzeitraum, nachdem einige Jahre zuvor seine Ehe gescheitert war, laut Sachverständigengutachten nach eigenen Angaben zwischen 2013 und 2014 eine sechsmonatige Beziehung, die er als „wirklich schön“ beschrieb.

Ungeachtet dessen war die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des früheren Soldaten zu den Tatzeitpunkten nicht infolge seiner psychischen Störungen erheblich vermindert. Die Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit kann – von offenkundigen Ausnahmefällen abgesehen – nur in Bezug auf die konkrete Tat erfolgen. Beurteilungsgrundlage ist das jeweilige Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass zur Tat, die Motivlage und das Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können31.

Ausgehend davon war der frühere Soldat, der nach eigenen Angaben bei seinen Taten wusste, dass er sich falsch verhielt, uneingeschränkt einsichtsfähig, wovon auch der Sachverständige ausgeht.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich ferner der Einschätzung des Sachverständigen an, dass auch die Steuerungsfähigkeit des früheren Soldaten nicht aufgrund seiner psychischen Störungen erheblich vermindert war. Er hat bei der Begehung der Taten nicht aus einem starken, mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt32. Dass der frühere Soldat seine Taten kontrollieren konnte, folgt daraus, dass er – wie aufgezeigt – ohne Weiteres in der Lage war, seine Chatkommunikationen zu beenden, wenn er etwa müde war oder den Haushalt machen wollte.

Auch Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des früheren Soldaten mindern könnten, liegen nicht vor. Insbesondere hat er nicht in einer seelischen Ausnahmesituation gehandelt33. Die Belastungsfaktoren, auf die er sich beruft, begründen keine außergewöhnlichen Besonderheiten seiner Situation im Zeitpunkt der vorgeworfenen Handlungen. Seine langjährigen körperlichen Beschwerden und seine psychischen Einschränkungen erreichten auch in der Zusammenschau mit der empfundenen beruflichen Überforderung, der Pflege seiner Mutter, die lediglich den Pflegegrad 1 hat, seiner geschiedenen Ehe, seinen weiteren gescheiterten Beziehungen und den zwar geordneten, aber sich auf einem sehr niedrigen Niveau bewegenden wirtschaftlichen Verhältnissen keinen so hohen Grad an Zuspitzung, dass ein normgemäßes Verhalten kaum noch erwartet werden konnte34.

Nicht mildernd zu berücksichtigen ist, dass gegen ihn im sachgleichen Strafverfahren in zweiter Instanz nur eine Geldstrafe verhängt wurde.

Steht – wie hier – § 16 WDO der Zulässigkeit des Ausspruchs einer Disziplinarmaßnahme nicht entgegen, ist die Art oder Höhe einer Kriminalstrafe oder sonstigen Strafsanktion für die Gewichtung der Schwere des sachgleichen Dienstvergehens regelmäßig nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Die Kriminalstrafe unterscheidet sich nach Wesen und Zweck grundlegend von der Disziplinarmaßnahme. Während erstere neben Abschreckung und Besserung der Vergeltung und Sühne für begangenes Unrecht gegen den allgemeinen Rechtsfrieden dient, ist die disziplinarische Ahndung darauf ausgerichtet, unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes einen geordneten und integren Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen, indem sie denjenigen, der die ihm obliegenden Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat, entweder durch eine erzieherische Maßnahme zu künftig pflichtgemäßem Verhalten mahnt oder ihn aus dem Dienstverhältnis entfernt bzw. die sonst gebotene Höchstmaßnahme ausspricht. Daher misst das Bundesverwaltungsgericht zwar der in den Strafrahmen des Strafgesetzbuchs zum Ausdruck kommenden Gewichtung des Unrechtsgehalts einer Tat durch den Gesetzgeber eine indizielle Bedeutung für die Schwere auch des Dienstvergehens bei, nicht aber der Höhe einer konkreten strafrechtlichen Sanktion35.

Im Übrigen wurde bereits bei der Strafzumessung zugunsten des früheren Soldaten „ganz wesentlich berücksichtigt“, dass er mit erheblichen berufsrechtlichen Konsequenzen „bis hin zur unehrenhaften Entlassung aus dem Dienstverhältnis“ zu rechnen habe und seine Pensionsansprüche gefährdet seien.

Da die Milderungsgründe umso gewichtiger sein müssen, je schwerer ein Dienstvergehen wiegt36 und daher bei einer – wie hier – grundsätzlich verwirkten Höchstmaßnahme von hohem Gewicht sein müssen37, kann bei einer Gesamtabwägung aller den früheren Soldaten be- und entlastenden Umständen von der Höchstmaßnahme nicht abgewichen werden.

Daher kann auch eine etwaige Überlänge des Disziplinarverfahrens keine maßnahmemildernde Wirkung mehr entfalten38.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 2. Juni 2022 – 2 WD 30.20

  1. BGBl. I 1482 []
  2. vgl. BVerwG, Urteil vom 01.10.2020 – 2 WD 20.19, Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 84 Rn. 21 m. w. N. []
  3. BGBl. I S. 2149 []
  4. BGBl. I S. 3396 []
  5. BGBl. I S. 3322 []
  6. vgl. BVerwG, Urteile vom 14.10.2021 – 2 WD 26.20 30 m. w. N.; und vom 15.04.2021 – 2 WD 14.20 31 m. w. N. []
  7. vgl. BGH, Beschluss vom 18.12.2019 – 3 StR 264/19 – NStZ-RR 2020, 172 <173> []
  8. vgl. BVerwG, Urteil vom 01.10.2020 – 2 WD 20.19, Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 84 Rn. 39 m. w. N. []
  9. vgl. BVerwG, Urteil vom 01.10.2020 – 2 WD 20.19, Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 84 Rn. 40 m. w. N. []
  10. vgl. BVerwG, Urteil vom 04.06.2020 – 2 WD 10.19, Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 77 Rn. 27 m. w. N. []
  11. vgl. BVerwG, Urteil vom 14.01.2021 – 2 WD 7.20, Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 89 Rn. 40 m. w. N. []
  12. vgl. BVerwG, Urteil vom 01.10.2020 – 2 WD 20.19, Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 84 Rn. 42 []
  13. dazu BVerwG, Beschluss vom 31.03.2020 – 2 WDB 2.20, Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 11 Rn. 37 []
  14. vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.02.2021 – 2 WDB 14.20, Buchholz 450.2 § 82 WDO 2002 Nr. 2 Rn. 12 []
  15. vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.07.2020 – 2 WDB 5.20, Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 12 Rn. 24 m. w. N. []
  16. vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.11.2018 – 2 B 37.18, Buchholz 449.4 § 55c SVG Nr. 2 Rn. 16 []
  17. vgl. BT-Drs. 17/9340 S. 31 und BVerwG, Beschluss vom 30.08.2019 – 1 WB 24.18, Buchholz 449 § 28 SG Nr. 12 Rn. 29 []
  18. vgl. Dau/Schütz, WDO, 8. Aufl.2022, § 65 Rn. 3 []
  19. vgl. BGH, Urteil vom 27.03.2019 – 2 StR 382/18 – NStZ-RR 2019, 170 m. w. N. []
  20. vgl. BVerwG, Urteil vom 04.06.2020 – 2 WD 10.19, Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 77 Rn. 30 m. w. N. []
  21. ICD 10 F 33.01 []
  22. ICD 10 F 55.2 []
  23. ICD 10 F 65.5 []
  24. ICD 10 F 43.8 []
  25. vgl. BGH, Beschluss vom 10.01.2019 – 1 StR 574/18 – NStZ-RR 2019, 168 m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 04.06.2020 – 2 WD 10.19, Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 77 Rn. 32 []
  26. vgl. dazu BGH, Urteil vom 02.06.2021 – 6 StR 341/20 – NStZ-RR 2021, 240 <241> []
  27. vgl. BGH, Beschluss vom 22.05.2019 – 1 StR 651/18 – NStZ-RR 2019, 334 <335> m. w. N. []
  28. vgl. BGH, Beschluss vom 27.06.2018 – 2 StR 112/18 11 m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 03.12.2020 – 2 WD 4.20, Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 88 Rn. 51 []
  29. vgl. BGH, Beschluss vom 23.03.2022 – 6 StR 606/21 7 m. w. N. []
  30. Stimmungsschwankungen, geringe Frustrationstoleranz, Tendenz zu Streitereien und Impulsivität; vgl. BVerwG, Urteil vom 15.07.2021 – 2 WD 6.21 23 m. w. N. []
  31. BVerwG, Urteil vom 04.06.2020 – 2 WD 10.19, Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 77 Rn. 40 m. w. N. []
  32. vgl. BGH, Beschluss vom 10.01.2019 – 1 StR 574/18 – NStZ-RR 2019, 168 m. w. N. []
  33. dazu BVerwG, Urteil vom 16.10.2002 – 2 WD 23.01 , 32.02, BVerwGE 117, 117 <124> m. w. N. []
  34. vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.2018 – 2 WD 10.18, Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 57 Rn. 31 m. w. N. []
  35. vgl. BVerwG, Urteil vom 02.05.2012 – 2 WD 14.11 49 m. w. N. []
  36. BVerwG, Urteil vom 23.01.2020 – 2 WD 1.19, Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 71 Rn. 30 m. w. N. []
  37. vgl. BVerwG, Urteil vom 15.03.2013 – 2 WD 15.11 43 []
  38. vgl. BVerwG, Urteil vom 04.06.2020 – 2 WD 10.19, NVwZ-RR 2020, 983 Rn. 60 m. w. N. []