Reichsbürger bei der Bundeswehr – und die Dienstgradherabsetzung

Verhaltensweisen eines Soldaten, die den irrigen Eindruck einer hohen Identifikation mit der sogenannten Reichsbürgerbewegung vermitteln, sind im Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen mit einer Dienstgradherabsetzung zu ahnden.

In dem hier letztinstanzlich vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Disziplinarvergehen stand in tatsächlicher Hinsicht  fest, dass der Soldat am 27.07.2016 beim für ihn zuständigen Landkreis einen „Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit1“ stellte. Im Antragsformular „F“ des Bundesverwaltungsamtes trug er als Geburtsstaat „Königreich Preußen“, als Wohnsitzstaat „Großherzogtum Oldenburg“ und zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit „Abstammung gemäß § 4 Abs. 1 RuStAG Stand 1913“ ein. Ferner kreuzte er das Feld „Ich besitze/besaß neben der deutschen Staatsangehörigkeit noch folgende weitere Staatsangehörigkeiten“ an, trug dazu „in Preußen“ und in dem Feld „seit wann“ sein Geburtsdatum ein und gab an, er habe auch diese weitere Staatsangehörigkeit durch „Abstammung gemäß § 4 Abs. 1 RuStAG Stand 1913“ erworben. Die Rubriken zum Besitz deutscher Ausweise und zu Militärzeiten ließ er unausgefüllt. Entsprechend füllte er die Anlage „V“ zu seinem 1959 geborenen Vater aus, wobei er bei diesem zwar keinen Wohnsitzstaat und keine bisherigen Aufenthaltsstaaten, aber neben dem Geburtsstaat auch als Staat der Eheschließung das Königreich Preußen eintrug.

Der Soldat hat damit ein Dienstvergehen (§ 23 Abs. 1 SG) begangen.

Er hat vorsätzlich und schuldhaft gegen § 8 SG verstoßen. Danach muss ein Soldat die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung eintreten.

Die unabhängig vom Dienstgrad bestehende Pflicht eines Soldaten nach § 8 SG verlangt von diesem zwar nicht, sich mit den Zielen oder einer bestimmten Politik der jeweiligen Bundesregierung oder der im Bundestag vertretenen Parteien zu identifizieren und sie zu unterstützen; sie verpflichtet ihn jedoch, die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes zum einen anzuerkennen und zum anderen, durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung einzutreten. Es handelt sich um eine Kernpflicht des Soldaten, deren Verletzung stets schwer wiegt2.

Die Verpflichtung zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung nach § 8 Alt. 2 SG geht weiter als die Pflicht zu ihrer Anerkennung gemäß § 8 Alt. 1 SG. Ungeachtet der sich im Einzelnen aus der Eintretenspflicht ergebenden Anforderungen ist damit jedenfalls ein Verhalten unvereinbar, das in einer für die Reichsbürgerszene typischen Art und Weise bereits die rechtliche Existenz der Bundesrepublik Deutschland verneint und ihren Gesetzen den Geltungsanspruch von vornherein abspricht. Die rechtliche Existenz der Bundesrepublik Deutschland zu leugnen und zugleich für deren Grundordnung einzutreten, ist unmöglich. Ein Soldat negiert mit einem solchen Verhalten auch die Grundlagen seines eigenen Soldatenverhältnisses3.

Denn die politische Treuepflicht verlangt von jedem Soldaten die Bereitschaft, sich zu der Idee des Staates, dem er dient, zu bekennen und aktiv für ihn einzutreten4. Ein Soldat muss sich daher nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich von Gruppen und Bestrebungen distanzieren, die den Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren. Er darf auch nicht entgegen einer inneren verfassungstreuen Gesinnung aus Übermut, Provokationsabsicht oder anderen Gründen nach außen hin verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützen und sich objektiv betrachtet illoyal verhalten5.

Dem ist der Soldat nicht gerecht geworden. Zwar ist das Bundesverwaltungsgericht nach dem Ergebnis der Berufungshauptverhandlung nicht davon überzeugt, dass der Soldat die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes nicht anerkennt (§ 8 Alt. 1 SG). Er hat aber seine weitergehende Pflicht verletzt, durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung einzutreten (§ 8 Alt. 2 SG).

Der Soldat hat mit seinen Antragsangaben – objektiv – die rechtliche Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren verfassungsmäßige Ordnung negiert und den Eindruck einer hohen Identifikation mit der sogenannten Reichsbürgerbewegung erweckt.

Denn ein 1988 geborener Soldat, der 2016 einen Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit stellt und darin „Königreich Preußen“ als seinen Geburtsstaat, „Großherzogtum Oldenburg“ als seinen aktuellen Wohnsitzstaat und „Königreich Preußen“ bzw. „Großherzogtum Oldenburg“ als Staaten seiner bisherigen Aufenthalte sowie zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit „Abstammung gemäß § 4 Abs. 1 RuStAG Stand 1913“ einträgt und entsprechende Angaben zu seinem 1959 geborenen Vater macht, bringt damit bei objektiver Auslegung zum Ausdruck, dass er vom Fortbestand des Königreichs Preußen und des Großherzogtums Oldenburg ausgeht und die Bundesrepublik Deutschland rechtlich nicht existiert6. Dieser Eindruck wird dadurch bestärkt, dass der Soldat die Rubriken zum Besitz deutscher Ausweise und zu Militärzeiten nicht ausgefüllt hat.

Daran ändert nichts, dass er im Antragsformular angekreuzt hat, dass er und sein Vater „neben“ der deutschen Staatsangehörigkeit eine weitere Staatsangehörigkeit „in Preußen“ besitzen. Damit hat er bei objektivem Verständnis nicht etwa beansprucht, dass er und sein Vater neben einer aus dem Recht der Bundesrepublik Deutschland abgeleiteten deutschen Staatsangehörigkeit eine weitere „Staatsangehörigkeit“ zum Königreich Preußen besitzen. Vielmehr hat er damit angesichts seiner weiteren Angaben objektiv allenfalls zum Ausdruck gebracht, nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 von einer aus der „Staatsangehörigkeit“ zum Königreich Preußen abgeleiteten deutschen Staatsangehörigkeit auszugehen.

Mit seinen Antragsangaben hat der Soldat den Eindruck einer hohen Identifikation mit der sogenannten Reichsbürgerbewegung erweckt. Unter den Begriff „Reichsbürger“ fallen Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen – u. a. Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht – die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren. Ihr verbindendes Element ist die fundamentale Ablehnung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sowie der bestehenden Rechtsordnung7. Personen aus diesem Bereich berufen sich gegenüber Behörden typischerweise explizit u. a. auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 und beantragen einen Staatsangehörigkeitsausweis, weil sie dem Personalausweis und Reisepass der Bundesrepublik Deutschland die Gültigkeit absprechen.

Das Bundesverwaltungsgericht ist nach dem Ergebnis der Berufungshauptverhandlung allerdings nicht davon überzeugt, dass sich der Soldat bei der Antragstellung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland innerlich nicht verpflichtet fühlte. Vielmehr ist das Bundesverwaltungsgericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Soldat den Antrag aus Provokationslust in einer Phase stellte, in der er beruflich und privat nicht ausgelastet war.

Die verwaltungsgerichtlichen Urteile vom 14.11.2018 enthalten keine Feststellung einer tatsächlich verfassungsfeindlichen Gesinnung des Soldaten, die nach § 84 Abs. 2 WDO zugrunde gelegt werden könnte. Das Verwaltungsgericht hat lediglich festgestellt, dass das vom Soldaten gezeigte, für „Reichsbürger“ typische Verhalten darauf hindeute, dass er der Ideologie dieser Bewegung anhänge. Dass dies tatsächlich der Fall ist, hat es nicht festgestellt; dies war für die Prognose einer Unzuverlässigkeit im sprengstoff- und waffenrechtlichen Sinne auch nicht erforderlich.

Demgegenüber ist das Bundesverwaltungsgericht unter Würdigung aller Beweise zu der Überzeugung gelangt, dass das Verhalten des Soldaten nicht auf einer inneren verfassungsfeindlichen Gesinnung beruhte. Jedenfalls gibt es dafür kein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen8.

Zwar hat der Soldat unmittelbar nach der Antragstellung weitere Verhaltensweisen an den Tag gelegt, die eine solche Gesinnung nahelegen. So hat er in zwei Schreiben auf eine Bearbeitung seines Antrags in der gestellten Form beharrt und sich darin als „natürliche Person“ bezeichnet. Dies ist eine von „Reichsbürgern“ oft verwendete Selbstbezeichnung. Des Weiteren hat er in einem der Schreiben in der Absender- und Adresszeile jeweils die Postleitzahlen in eckige Klammern gesetzt. Auch dies ist in Teilen der Reichsbürgerszene gebräuchlich9. Dies kann jedoch mit einer fortbestehenden Provokationsabsicht erklärt werden.

Der Soldat hat sein Verhalten damit erklärt, dass er nach der Erwähnung eines Staatsangehörigkeitsausweises durch einen Kameraden während eines Lehrgangs zu einem späteren Zeitpunkt, zu dem er sich unterfordert gefühlt und einfach zu viel Zeit gehabt habe, im Internet danach recherchiert habe und dabei auf ein YouTube-Video mit einer Anleitung zur Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises unter Berufung auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 gestoßen sei. Weil er die im Video dazu angeführten Argumente selbst nicht habe entkräften können, habe er ausprobieren wollen, was passiere, wenn er einen solchen Antrag stelle. Dabei habe er sich strikt an die Vorgaben in dem Video gehalten. Den Hinweis des Landkreises … auf die Nichtfortgeltung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913 habe er nicht anerkannt, weil in dem Video empfohlen worden sei, in der von ihm vorgenommenen Weise auf eine offizielle „Ablehnung“ zu beharren. Auch das Setzen eckiger Klammern um Postleitzahlen sei ein Hinweis aus dem Video gewesen, den er befolgt habe, ohne dessen Hintergrund zu kennen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat keine vernünftigen Zweifel an der Richtigkeit dieser Einlassung, sieht aber das Motiv des Soldaten für sein Handeln nicht in einer verfassungsfeindlichen Gesinnung. Der Soldat hat eine verfassungsfeindliche Gesinnung durchweg vehement in Abrede gestellt. Er hat glaubhaft versichert, froh zu sein, in einer Demokratie aufgewachsen zu sein, und nicht den Wunsch zu verspüren, in einem Königreich zu leben. Er hat zu keinem Zeitpunkt in seinem bisherigen soldatischen und privaten Leben – von diesem Antrag abgesehen – verfassungsfeindliche Erklärungen abgegeben oder sich sonst radikal geäußert. Da der Soldat aber aufgrund seines Alters und Bildungsstandes die Brisanz der in dem Antrag liegenden Erklärung erkannt haben muss, hat das Bundesverwaltungsgericht das Verhalten des Soldaten, der nach eigenen Angaben den Staatsangehörigkeitsausweis nicht benötigte und selbst nicht an den Erfolg seines Antrags glaubte, als bewusste Provokation der Behörde bewertet.

Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Gesinnung des Soldaten ergeben sich zunächst nicht aus weiteren Anträgen des Soldaten bei Behörden. Vielmehr hat der Soldat in seinem zeitgleich mit seinem Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit bei derselben Behörde eingereichten Antrag auf Erteilung der sprengstoffrechtlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung angegeben, in „Deutschland“ geboren zu sein, die Staatsangehörigkeit „deutsch“ zu haben und sich in den letzten fünf Jahren in „Deutschland“ aufgehalten zu haben; auch hat er die in diesem Antrag angegebene Postleitzahl nicht in eckige Klammern gesetzt und sich auch nicht als „natürliche Person“ bezeichnet.

Hinweise auf eine verfassungsfeindliche Gesinnung ergeben sich ferner nicht aus den Zeugenaussagen. Die Ehefrau des Soldaten, die ihn seit 2013 kennt, hat erstinstanzlich ausgesagt, sie habe nie den Eindruck gehabt, dass er Deutschland verleugne oder im Internet nach Leuten gesucht habe, die das täten; er habe so etwas auch nie geäußert. Der Zeuge …, der den Soldaten seit dem Kindergarten kennt und sein bester Freund ist, hat erstinstanzlich bekundet, er habe zu keinem Zeitpunkt beobachtet, dass der Soldat mit der Reichsbürgerszene sympathisiere. Er habe auch keine fragwürdige Tendenz im politischen Bereich erkennen können. Er kenne den Soldaten als engagierten Menschen, der sich in die Gesellschaft einbringen wolle und voll und ganz dahinterstehe. Der frühere nächste Disziplinarvorgesetzte des Soldaten, Kapitänleutnant a.D. …, hat erstinstanzlich ausgesagt, man sei allgemein sehr überrascht über die Anschuldigungen gewesen und Oberleutnant zur See … hat in der Berufungshauptverhandlung erläutert, dass der Soldat auch ihr gegenüber Langeweile und „Zeitüberschuss“ als Grund für die Antragstellung angegeben habe.

Der Soldat ist des Weiteren bei keiner politischen Organisation tätig. Er hat auch keine nachgewiesenen Kontakte zu Angehörigen der Reichsbürgerszene.

Schließlich hat sich der Soldat glaubhaft von der Reichsbürgerbewegung distanziert. Zunächst hat er seinen Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit etwa einen Monat später auf die behördliche Belehrung über die geltende Rechtslage hin zurückgenommen und korrekt neu gestellt. Sodann hat er sich an die „Aktion Neustart“ des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport gewandt, das bei ihm keine rechtsextremistischen Einstellungsmuster festgestellt hat. Der Soldat warnt nunmehr mit einem Foto von sich in einem auf dem Facebook-Profil der „Aktion Neustart“ veröffentlichten Meme vor der Reichsbürgerszene. Das Bundesverwaltungsgericht ist davon überzeugt, dass er sich nicht in dieser Form öffentlich gegen die Reichsbürgerszene positionieren würde, wenn er ihr tatsächlich angehörte. Darüber hinaus hat sich der Soldat an das Hilfsprogramm „EXIT-Deutschland“ der ZDK Gesellschaft Demokratische Kultur gGmbH gewandt, die bestätigt hat, dass er kein aktiver, passiver oder getarnter Angehöriger der Reichsbürgerbewegung sei. Der Soldat leugne nicht die legitime Existenz der Bundesrepublik Deutschland und erkenne ihre Rechtsordnung an. Er distanziere sich glaubhaft von den Zielen und Bestrebungen verschiedener Reichsbürger-Formate und jeglichen extremistischen Bewegungen. Die vor der Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens angehörte Vertrauensperson hatte ebenfalls angegeben, der Soldat habe sich in einem persönlichen Gespräch deutlich von der Reichsbürgerbewegung distanziert.

Zwar hat das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst den Soldaten als Extremisten bewertet. Dieser Einstufung liegen jedoch keine weiteren als die aufgezeigten Erkenntnisse zugrunde, die diese Annahme nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht rechtfertigen. Zudem wird in dem Schreiben unzutreffend zugrunde gelegt, das Verwaltungsgericht Oldenburg habe festgestellt, dass der Soldat der Reichsbürgerbewegung zugehörig sei.

Der Soldat hat seine Pflicht, durch sein gesamtes Verhalten für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten, vorsätzlich verletzt. Das Bundesverwaltungsgericht ist davon überzeugt, dass der Soldat es zumindest für möglich gehalten hat, mit seinem Verhalten den Anschein zu erwecken, die Existenz der Bundesrepublik Deutschland zu leugnen, und dies – was für den Vorsatz ausreichend ist10 – billigend in Kauf genommen hat, weil er die Behörde provozieren wollte. Der Soldat war bei der Antragstellung 27 Jahre alt, hatte den Dienstgrad eines Oberbootsmanns, verfügte über die Allgemeine Hochschulreife und war bereits seit sieben Jahren bei der Bundeswehr, wo er nach eigenen Angaben u. a. in politischer Bildung unterrichtet worden war. Zudem hat er wiederholt ausgesagt, er habe selbst nicht damit gerechnet, dass sein Antrag Erfolg haben würde. Bereits erstinstanzlich hatte er ausgeführt, dass ihm die Angabe „Königreich Preußen“ beim Ausfüllen „natürlich etwas komisch“ vorgekommen sei.

Der Soldat hat auch schuldhaft gehandelt. Er unterlag keinem unvermeidbaren Verbotsirrtum entsprechend § 17 Satz 1 StGB. Es kann dahinstehen, ob ihm – wie er geltend macht – bei der Tat die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun. Denn einen etwaigen Irrtum über die Pflichtwidrigkeit seines Handelns hätte er angesichts seiner Amtsstellung, seiner Vorbildung und seines dienstlichen Werdegangs unter Berücksichtigung ihm zugänglicher Informationsmöglichkeiten jedenfalls vermeiden können11.

Damit einher geht eine vorsätzliche und schuldhafte Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 2 SG in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung vom 13.05.201512.

Bei Art und Maß der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Insoweit legt das Bundesverwaltungsgericht ein zweistufiges Prüfungsschema zugrunde:

Auf der ersten Stufe bestimmt er zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle und im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bei objektiv verfassungsfeindlichen Verhaltensweisen und Kundgabeformen, die Ausdruck einer tatsächlich verfassungsfeindlichen Gesinnung sind, Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Höchstmaßnahme13. Demgegenüber ist bei Verhaltensweisen, die nicht von einer verfassungsfeindlichen Gesinnung getragen wurden, aber den irrigen Eindruck einer hohen Identifikation mit verfassungsfeindlichem Gedankengut vermitteln, die Dienstgradherabsetzung zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zu machen14. Dies gilt auch für Verhaltensweisen, die – wie hier – den irrigen Eindruck einer hohen Identifikation mit der sogenannten Reichsbürgerbewegung vermitteln, weil deren verbindendes Element – wie aufgezeigt – die fundamentale Ablehnung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sowie der bestehenden Rechtsordnung ist.

Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO Umstände vorliegen, die eine Milderung oder Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe angesetzten Regelmaßnahme gebieten. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkung zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Diese Bemessungskriterien sind zudem zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, dem Wehrdienstgericht hinsichtlich des Disziplinarmaßes einen Spielraum eröffnet, wie es bei einer Dienstgradherabsetzung der Fall ist. Danach ist eine Herabsetzung des Soldaten in den Dienstgrad eines Obermaats der Besoldungsgruppe A 7 angemessen.

Insoweit fallen mehrere Umstände zu Lasten des Soldaten ins Gewicht.

Zum einen wirkt erschwerend, dass er trotz des ausdrücklichen Hinweises der Behörde auf die Nichtfortgeltung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913 in zwei Folgeschreiben zunächst auf eine Bescheidung seines Antrags in der gestellten Form beharrte.

Des Weiteren hatte er bei Begehung des Dienstvergehens aufgrund seines Dienstgrades als Oberbootsmann eine Vorgesetztenstellung inne (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 SG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 VorgV). Nach § 10 SG war er damit zu vorbildlicher Pflichterfüllung verpflichtet. Wer in dieser Stellung eine Pflichtverletzung begeht, gibt ein schlechtes Vorbild ab, was das Gewicht seines Dienstvergehens erhöht15.

Zudem hatte das Dienstvergehen erhebliche nachteilige Auswirkungen für den Dienstherrn. Denn der Soldat wurde von den Wachdiensten ausgeschlossen und ihm wurde jede dienstliche Ausbildung an der Waffe untersagt. Ferner wurde ihm seit dem 6.02.2019 zunächst die Dienstausübung verboten und er ist seit dem 25.04.2019 unter Einbehaltung von 30 % seiner Dienstbezüge vorläufig des Dienstes enthoben. Dies ist zu seinen Lasten zu gewichten, weil an der Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen keine durchgreifenden Zweifel bestehen und dem Bund dadurch ein erheblicher finanzieller Schaden entstanden ist16. Schließlich ist das Dienstvergehen durch die bundesweite Presseberichterstattung in der Öffentlichkeit bekannt geworden, was ein schlechtes Licht auf die Bundeswehr und ihre Angehörigen geworfen hat.

Demgegenüber sprechen folgende Umstände für den Soldaten:

Er hat in der Berufungshauptverhandlung ernsthaft Reue und Einsicht gezeigt. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass er in dem auf dem Facebook-Profil der „Aktion Neustart “ veröffentlichten Meme vor der Reichsbürgerszene warnt.

Ferner hat er gute dienstliche Leistungen erbracht, zahlreiche Trageberechtigungen erlangt, wiederholt an mehrtägigen Auslandseinsätzen im Rahmen der Operation „Active Endeavour“ teilgenommen und eine förmliche Anerkennung für eine – ebenfalls durch Zeitungsberichte öffentlich bekannt gewordene – herausragende Einzeltat erhalten.

Des Weiteren hat er erhebliche Nachteile im beruflichen Fortkommen durch ein mehrjähriges faktisches Beförderungsverbot erlitten. Ein solches liegt vor, weil eine konkret anstehende Beförderung durch das Disziplinarverfahren verhindert wurde. Hierfür ist zwar nicht ausreichend, dass eine Beförderung während des Verfahrens nach den laufbahnrechtlichen Vorschriften möglich gewesen wäre; etwas anderes gilt jedoch dann, wenn eine konkret anstehende – und damit bereits erdiente – Beförderung durch das Disziplinarverfahren verhindert wird. Ein solcher Fall liegt hier vor. Denn die Aushändigung der bereits erstellten Beförderungsurkunde unterblieb aktenkundig wegen des Disziplinarverfahrens17.

Bei einer Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände wäre ohne das faktische Beförderungsverbot wegen des deutlichen Überwiegens der gegen den Soldaten sprechenden Gesichtspunkte eine mehrstufige Degradierung zum Obermaat der Besoldungsgruppe A 6 geboten. Infolge des faktischen Beförderungsverbots ist indes nur eine Herabsetzung in den Dienstgrad eines Obermaats der Besoldungsgruppe A 7 angezeigt.

Die ungerechtfertigte Überlänge des Disziplinarverfahrens von etwa sechs Monaten gebietet eine weitere Milderung der Disziplinarmaßnahme, der durch eine Verkürzung der Frist zur Wiederbeförderung auf zwei Jahre gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 WDO Rechnung getragen wird.

In Fällen, in denen – wie hier – eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme geboten ist, ist eine gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und Art.19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art.20 Abs. 3 GG verstoßende, unangemessene Verfahrensdauer bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mildernd zu berücksichtigen18.

Vorliegend weist das rund ein Jahr und fünf Monate lange erstinstanzliche Verfahren eine ungerechtfertigte Überlänge von etwa fünf Monaten auf. Angesichts der bei Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens bereits vorliegenden rechtskräftigen Urteile des Verwaltungsgerichts Oldenburg und dem in objektiver Hinsicht unstreitigen Sachverhalt wies das Verfahren keine überdurchschnittliche Schwierigkeit auf. Daher wäre wegen der Schwere des Vorwurfs und der erheblichen Bedeutung des Verfahrens für den Soldaten zu erwarten gewesen, dass das Urteil binnen eines guten Jahres ergeht. Besondere Gründe für die mangelnde Förderung des Verfahrens sind der Akte nicht zu entnehmen. Dies lässt darauf schließen, dass sie auf die gerichtsbekannte Überlastung der Truppendienstgerichte zurückgeht. Diesen strukturellen Mangel hat der Soldat nicht zu verantworten. Aus entsprechenden Erwägungen weist das rund 13 Monate lange Berufungsverfahren eine Überlänge von etwa einem Monat auf.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12. Mai 2022 – 2 WD 10.21

  1. Staatsangehörigkeitsausweis []
  2. BVerwG, Urteile vom 23.03.2017 – 2 WD 16.16 67, 76 m. w. N.; und vom 18.06.2020 – 2 WD 17.19, BVerwGE 168, 323 Rn. 36 []
  3. vgl. BVerwG, Urteil vom 02.12.2021 – 2 A 7.21 – IÖD 2022, 86 <90> []
  4. vgl. BVerwG, Urteil vom 23.03.2017 – 2 WD 16.16 67 []
  5. vgl. BVerwG, Urteil vom 18.06.2020 – 2 WD 17.19, BVerwGE 168, 323 Rn. 39 []
  6. vgl. BVerwG, Urteil vom 02.12.2021 – 2 A 7.21 – IÖD 2022, 86 <90> m. w. N. []
  7. vgl. Verfassungsschutzbericht 2020 des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat, S. 112 und 115 []
  8. vgl. BVerwG, Urteil vom 24.01.2019 – 2 WD 16.18 14 []
  9. vgl. BT-Drs. 18/13283 S. 1 []
  10. vgl. BVerwG, Urteil vom 26.09.2006 – 2 WD 2.06, BVerwGE 127, 1 Rn. 75 []
  11. vgl. BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 – 2 WD 20.18, Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 66 Rn. 59 []
  12. BGBl. I S. 1482 []
  13. vgl. BVerwG, Urteil vom 18.06.2020 – 2 WD 17.19, BVerwGE 168, 323 Rn. 44 []
  14. vgl. BVerwG, Urteile vom 18.06.2020 – 2 WD 17.19, BVerwGE 168, 323 Rn. 46; und vom 14.01.2021 – 2 WD 7.20, Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 89 Rn. 35 []
  15. vgl. BVerwG, Urteil vom 01.10.2020 – 2 WD 20.19, Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 84 Rn. 40 m. w. N. []
  16. vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.02.2021 – 2 WDB 14.20, Buchholz 450.2 § 82 WDO 2002 Nr. 2 Rn. 12 []
  17. vgl. BVerwG, Urteil vom 18.07.2019 – 2 WD 19.18, BVerwGE 166, 189 Rn. 34 []
  18. vgl. BVerwG, Urteil vom 08.09.2020 – 2 WD 18.19, Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 82 Rn. 75 m. w. N. []