Außerordentliche Kündigung im öffentlichen Dienst – wegen zu erwartender Entgeltfortzahlungskosten

Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist eines nach § 34 Abs. 2 Satz 1 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnisses kann – vorbehaltlich einer umfassenden Interessenabwägung im Einzelfall – vorliegen, wenn damit zu rechnen ist, der Arbeitgeber werde für mehr als ein Drittel der jährlichen Arbeitstage Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall leisten müssen.

Nach § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-L konnte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers, der im Kündigungszeitpunkt länger als 15 Jahre bei ihr beschäftigt war und das 40. Lebensjahr vollendet hatte, nur aus einem wichtigen Grund kündigen.

Mit dem Begriff “wichtiger Grund” knüpft die tarifvertragliche Bestimmung an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an, deren Verständnis deshalb auch für die Auslegung der Tarifnorm maßgebend ist.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit kann ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB sein. Grundsätzlich ist dem Arbeitgeber aber die Einhaltung der Kündigungsfrist zuzumuten. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in eng begrenzten Fällen in Betracht, etwa wenn die ordentliche Kündigung aufgrund tarifvertraglicher oder einzelvertraglicher Vereinbarungen ausgeschlossen ist. In diesem Fall kann ein Sachverhalt, der bei einem Arbeitnehmer ohne Sonderkündigungsschutz nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigen würde, gerade wegen der infolge des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung langen Bindungsdauer einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung für den Arbeitgeber iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs muss dann allerdings zugunsten des Arbeitnehmers zwingend eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist eingehalten werden. Überdies muss der Prüfungsmaßstab den hohen Anforderungen Rechnung tragen, die nach § 626 Abs. 1 BGB an eine außerordentliche Kündigung zu stellen sind.

Danach kann die außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist eines ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer krankheitsbedingt auf Dauer außerstande ist, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Ein Leistungsaustausch ist dann nicht mehr möglich. Allerdings lässt die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, dem Arbeitnehmer sei es nicht aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft unmöglich, die Tätigkeit im unqualifizierten Patientenbegleitservice auszuüben, keinen Rechtsfehler erkennen. Das Bundesarbeitsgericht hat die von der Arbeitgeberin in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrensrügen geprüft und sie nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung sieht er ab (§ 564 Satz 1 ZPO).

Nicht frei von Rechtsfehlern ist hingegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei der Arbeitgeberin auch nicht aufgrund zu erwartender häufiger Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers unzumutbar.

Die Wirksamkeit einer auf häufige Kurzerkrankungen gestützten ordentlichen Kündigung setzt zunächst eine negative Gesundheitsprognose voraus. Im Kündigungszeitpunkt müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung sprechen (erste Stufe). Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen, etwa durch zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr übersteigende Entgeltfortzahlungskosten, zu einer solchen Beeinträchtigung führen (zweite Stufe). Ist dies der Fall, ist im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen (dritte Stufe).

Bei einer außerordentlichen Kündigung ist dieser Prüfungsmaßstab auf allen drei Stufen erheblich strenger. Die prognostizierten Fehlzeiten (erste Stufe) und die sich aus ihnen ergebenden Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen (zweite Stufe) müssen deutlich über das Maß hinausgehen, welches eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen vermöchte. Der Leistungsaustausch muss zwar nicht komplett entfallen, aber schwer gestört sein. Es bedarf eines gravierenden Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung. Gegebenenfalls ist im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung (dritte Stufe) zu prüfen, ob die gravierende Äquivalenzstörung dem Arbeitgeber auf Dauer zuzumuten ist.

Diese Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht nicht genügend beachtet.

Nicht zu beanstanden ist allerdings seine Annahme, der Arbeitnehmer werde künftig höchstens an durchschnittlich 93 Arbeitstagen pro Jahr krankheitsbedingt fehlen.

Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend einen Referenzzeitraum vom 01.08.2013 bis einschließlich 31.07.2016 zugrunde gelegt, um zu bestimmen, in welchem Umfang mit krankheitsbedingten Ausfällen des Arbeitnehmers zu rechnen ist. Vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls ist für die Erstellung der Gesundheitsprognose ein Referenzzeitraum von drei Jahren maßgeblich. Ist eine Arbeitnehmervertretung gebildet, ist auf die letzten drei Jahre vor Einleitung des Beteiligungsverfahrens abzustellen. Die Arbeitgeberin hat das Verfahren zur Beteiligung des bei ihr bestehenden Personalrats gemäß § 74 LPVG NRW am 1.08.2016 eingeleitet. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, der Streitfall gebe keine Veranlassung, über den bis zum 1.08.2013 zurückreichenden “Regelreferenzzeitraum” hinauszugehen. Die langandauernde Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers vom 29.09.2011 bis zumindest zum 28.03.2013 (nach der Behauptung der Arbeitgeberin bis zum 28.04.2013) war singulär. Überdies wurde der Arbeitnehmer anschließend in den unqualifizierten Patientenbegleitservice umgesetzt und war fortan ausschließlich dort tätig.

Nach dem Vortrag der Arbeitgeberin ist der Arbeitnehmer in der Zeit vom 01.08.2013 bis einschließlich 31.07.2016 an insgesamt 279 Arbeitstagen krankheitsbedingt arbeitsunfähig gewesen. Das entspricht durchschnittlich 93 Arbeitstagen pro Jahr.

Demgegenüber tragen die vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht seine, zulasten des Arbeitnehmers gehende – Annahme, es stünden auch in Zukunft “erhebliche” innerbetriebliche Belastungen durch die eingeschränkte Einsetzbarkeit und Planbarkeit des Arbeitnehmers sowie hohe Entgeltfortzahlungskosten zu erwarten.

Das Landesarbeitsgericht hat zum einen keine Tatsachen festgestellt, die eine Würdigung tragen könnten, die prognostizierten Arbeitsunfähigkeitszeiten führten zu beachtlichen Betriebsablaufstörungen. Allein der Umstand, dass die Arbeitgeberin den Einsatz des Arbeitnehmers aufgrund seiner möglichen krankheitsbedingten Fehlzeiten in Zukunft lediglich noch eingeschränkt planen kann, reicht dafür nicht aus.

Zum anderen hat das Landesarbeitsgericht keine Tatsachen festgestellt, die eine Prognose ermöglichten, in welchem Ausmaß die Arbeitgeberin künftig durch Arbeitsunfähigkeitszeiten des Arbeitnehmers mit Entgeltfortzahlungskosten belastet sein würde.

Das Landesarbeitsgericht hat schon nicht aufgeklärt, an wie vielen Tagen der Arbeitnehmer im maßgeblichen Referenzzeitraum vom 01.08.2013 bis einschließlich 31.07.2016 krankheitsbedingt arbeitsunfähig war. Vielmehr hat es seinen Ausführungen offenbar den Vortrag der Arbeitgeberin zugrunde gelegt, ohne dass ersichtlich würde, es halte diesen für unstreitig (§ 138 ZPO) oder erwiesen (§ 286 ZPO). Zur Höhe der im Referenzzeitraum angefallenen Entgeltfortzahlungskosten verhält sich das angefochtene Urteil überhaupt nicht. Insofern ist nicht einmal ersichtlich, von welchen Werten die Arbeitgeberin ausgeht. Der von ihr behauptete Gesamtbetrag iHv. 55.685, 02 Euro bezieht sich auf die gesamte Zeit von 2011 bis zur Einleitung des Verfahrens zur Beteiligung des Personalrats.

Zudem umfasst der Gesamtbetrag nach den eigenen Angaben der Arbeitgeberin tarifliche Zuschüsse zum Krankengeld gemäß § 22 TV-L. Diese sind indes “kündigungsneutral”.

Einerseits lässt sich allein aus einer tariflichen Verpflichtung des Arbeitgebers, im Krankheitsfall über die Vorgaben von § 3 Abs. 1 EFZG hinaus für bestimmte Zeiträume einen Zuschuss zum Krankengeld zu zahlen, nicht folgern, selbst sechs Wochen im Jahr übersteigende krankheitsbedingte Ausfallzeiten des Arbeitnehmers sollten – ggf. mit Auswirkungen auch auf die Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist – grundsätzlich ungeeignet sein, eine ordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Durch die Zusage solcher Leistungen wollen die Tarifvertragsparteien regelmäßig nicht den Bestandsschutz der Arbeitnehmer erhöhen. Eine solche Absicht ist auch in Bezug auf § 22 TV-L nicht ersichtlich.

Andererseits kann die zu erwartende Belastung des Arbeitgebers mit tariflichen Zuschüssen zum Krankengeld grundsätzlich nicht als “kündigungsbegründende” Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers anerkannt werden. Mit der Zusage derartiger Zuschüsse übernehmen die Arbeitgeber ein nach dem Gesetz den Arbeitnehmern zugewiesenes Risiko. Verwirklicht es sich, soll dies – in finanzieller Hinsicht – allein zu ihren Lasten gehen und regelmäßig nicht den Bestandsschutz der Arbeitnehmer mindern. Für die gegenteilige Annahme finden sich im TV-L keine Anhaltspunkte. Deshalb kann dahinstehen, ob es gegen das Verbot der (mittelbaren) Diskriminierung behinderter Arbeitnehmer nach §§ 3, 7 AGG verstieße, wenn Zuschüsse zum Krankengeld von den Tarifvertragsparteien als “kündigungsrelevant” bestimmt würden. Dies könnte der Fall sein, weil der Krankengeldzuschuss vom Arbeitgeber nur bei längeren oder doch auf ein einheitliches Grundleiden zurückgehenden Erkrankungen zu zahlen ist, und sich diese Leistung deshalb gerade bei solchen Arbeitnehmern bestandsschutzrechtlich nachteilig auswirken könnte, bei denen eine Behinderung iSd. Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beruf und Beschäftigung (im Folgenden RL 2000/78/EG) vorliegt.

Die angefochtene Entscheidung stellt sich zulasten der Arbeitgeberin als rechtsfehlerhaft dar, soweit das Landesarbeitsgericht angenommen haben könnte, eine unzumutbare Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen liege selbst dann nicht vor, wenn durchschnittlich 93 Arbeitstage pro Jahr mit Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß §§ 21, 22 TV-L iVm. § 3 Abs. 1 EFZG belastet sein sollten.

Das Landesarbeitsgericht hat – im Rahmen seiner Ausführungen zur Interessenabwägung (dritte Stufe) – gemeint, durch die Regelung zum Sonderkündigungsschutz in § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-L sei der Arbeitgeberin eine besondere Verantwortung für ältere, langjährig beschäftigte Arbeitnehmer auferlegt. Es bedürfe deshalb eines “Extremfalls der Unzumutbarkeit”. Ein solcher sei bei einer krankheitsbedingten Kündigung nur gegeben, wenn das Arbeitsverhältnis als “schlechthin sinnentleert” anzusehen sei. Diese “Schmerzgrenze” sei noch nicht überschritten, wenn zu erwarten sei, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber noch zu deutlich mehr als der Hälfte der Arbeitstage zur Verfügung stehen werde.

Damit hat das Landesarbeitsgericht die Anforderungen verkannt, die an die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist wegen häufiger Kurzerkrankungen unter Geltung von § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-L zu stellen sind. Bei einem nach dieser Vorschrift ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnis kann allein die zu erwartende Belastung des Arbeitgebers mit Entgeltfortzahlungskosten, die durchschnittlich für mehr als ein Drittel der Arbeitstage pro Jahr aufzuwenden sein werden, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung bilden (zweite Stufe). Einen Rechtssatz des Inhalts, ein wichtiger Grund könne nicht vorliegen, sofern der Arbeitnehmer voraussichtlich noch zu (deutlich) mehr als der Hälfte seiner Arbeitszeit zur Verfügung stehen wird, gibt es nicht. Vielmehr ist der Umfang der verwertbaren “Restarbeitszeit” des Arbeitnehmers lediglich einer von vielen Faktoren, die bei der abschließenden Interessenabwägung (dritte Stufe) zu berücksichtigen sein können.

Eine gravierende Äquivalenzstörung kann – bei Fehlen von Betriebsablaufstörungen – allein aus der Belastung des Arbeitgebers mit außergewöhnlich hohen Entgeltfortzahlungskosten folgen. Unter Geltung von § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-L ist dies der Fall, wenn für durchschnittlich mehr als ein Drittel der jährlichen Arbeitstage Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu leisten ist.

Schon die soziale Rechtfertigung einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG setzt voraus, dass das Austauschverhältnis erheblich beeinträchtigt ist. Die berechtigte Gleichwertigkeitserwartung des Arbeitgebers muss in einem Maß unterschritten sein, dass es ihm unzumutbar ist, über die Dauer der Kündigungsfrist hinaus an dem (unveränderten) Arbeitsverhältnis festzuhalten. Nach das Bundesarbeitsgerichtsrechtsprechung kann dies – vorbehaltlich einer Interessenabwägung auf der dritten Stufe – der Fall sein, wenn der Arbeitgeber voraussichtlich für mehr als sechs Wochen im Jahr Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu leisten haben wird.

Um einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung bilden zu können, müssen die zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten deutlich über das Maß hinausgehen, welches eine ordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermöchte. Es bedarf nicht nur eines erheblichen, sondern eines gravierenden Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung. Ein solches liegt nicht erst vor, wenn den Entgeltzahlungen des Arbeitgebers keine (nennenswerte) Arbeitsleistung mehr gegenübersteht. Der Leistungsaustausch muss nicht (nahezu) entfallen; er muss “nur” besonders schwer gestört sein.

Wann das Äquivalenzverhältnis aufgrund zu erwartender Entgeltfortzahlungskosten als so schwer (“gravierend”) gestört anzusehen ist, dass dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden kann, an einem ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnis dauerhaft festzuhalten, hängt maßgeblich davon ab, wie der dem Arbeitnehmer zukommende Sonderkündigungsschutz ausgestaltet ist. Durch die Gewährung eines besonderen Kündigungsschutzes übernimmt die Arbeitgeberseite bestimmte Risiken. Teilweise wird dies explizit geregelt. So sollten nach § 55 BAT betriebsbedingte Kündigungen überhaupt nicht möglich sein. Fehlt es an ausdrücklich normierten Anhaltspunkten, ist das Ausmaß der Risikoübernahme durch Auslegung zu ermitteln. Dabei sind die Voraussetzungen bedeutsam, von deren Erfüllung der besondere Kündigungsschutz abhängig ist. Jedenfalls dann, wenn dieser nicht als – ggf. zeitlich begrenzte – Gegenleistung für den Verzicht des Arbeitnehmers auf bestimmte Rechtsansprüche eingeräumt wird, sondern “lediglich” an die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter des Arbeitnehmers anknüpft, und er – wie in § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-L – nach einer nicht allzu langen Beschäftigungsdauer und schon ab einem vergleichsweise niedrigen Lebensalter eingreift, verbietet sich die Annahme, die Arbeitgeberseite wolle das Risiko übernehmen, dass das vertragliche Austauschverhältnis aus grundsätzlich in der Sphäre des Arbeitnehmers liegenden Gründen – ggf. über Jahrzehnte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze – außergewöhnlich schwer gestört ist.

Für ein nach § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-L ordentlich unkündbares Arbeitsverhältnis bedeutet dies, dass ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist wegen einer gravierenden Störung des Äquivalenzverhältnisses allein deshalb vorliegen kann, weil voraussichtlich im Durchschnitt mehr als ein Drittel der jährlichen Arbeitstage mit Entgeltfortzahlung belastet sein wird. Damit ist einerseits dem Umstand Rechnung getragen, dass das Maß der Entgeltfortzahlungskosten deutlich über dasjenige hinausgehen muss, welches ggf. eine ordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermöchte. Ein Drittel der jährlichen Arbeitstage entspricht nahezu dem Dreifachen des Werts von sechs Wochen, jenseits dessen nach der gesetzlichen Wertung in § 3 Abs. 1 EFZG eine ordentliche Kündigung begründet sein kann. Andererseits wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, das Arbeitsverhältnis außerordentlich zu beenden, wenn der Leistungsaustausch in seinem Kernbereich dauerhaft gestört ist. Das Bundesarbeitsgericht nimmt an, dass der Kernbereich des Äquivalenzverhältnisses berührt ist, wenn mehr als 25 bis 30 vH der Gesamtvergütung eines Arbeitnehmers widerruflich ausgestaltet sind. Berücksichtigt man, dass der Arbeitgeber eine “normale” Fehlzeitenquote von vornherein “einzupreisen” hat, wird seine objektiv berechtigte Gleichwertigkeitserwartung in vergleichbarer Weise betroffen, wenn mehr als ein Drittel der jährlichen Arbeitstage mit Entgeltfortzahlung belastet ist. Soweit seine fallbezogenen Ausführungen in der Entscheidung vom 23.01.2014 zu einer mit § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-L inhaltsgleichen Tarifregelung dahin verstanden werden könnten, auch prognostizierte, mit Entgeltfortzahlung belastete Fehlzeiten von 18, 81 Wochen pro Jahr (entsprechend ca. 36% der Arbeitstage) genügten für sich genommen schlechthin nicht, um von einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung für den Arbeitgeber auszugehen, hält das Bundesarbeitsgericht daran nicht fest.

Ist der “Eintrittswert” von zukünftig zu erwartenden Fehlzeiten in Höhe eines Drittels der jährlichen Arbeitstage überschritten, hat eine umfassende Interessenabwägung zu erfolgen (dritte Stufe). In deren Rahmen können für den Arbeitnehmer ua. streiten die Dauer seiner zunächst störungsfreien Betriebszugehörigkeit, eine betriebliche (ggf. sogar schuldhafte) Veranlassung der die Fehlzeiten bedingenden Erkrankungen, sein Lebensalter, mögliche Unterhaltspflichten sowie schlechte Arbeitsmarktchancen. Gegen den Arbeitnehmer kann ua. sprechen, dass er – unter Einschluss der mit Entgeltfortzahlung belasteten Fehltage – insgesamt keine nennenswerte Arbeitsleistung mehr erbringt bzw. seine Arbeitsleistung kaum noch wirtschaftlich sinnvoll zu planen ist und/oder dass das in seinem Kernbereich gestörte Arbeitsverhältnis bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze noch über einen langen Zeitraum fortzusetzen wäre (und sich damit die Entgeltfortzahlungskosten “über die Jahre” aufaddierten). Hingegen fällt die Interessenabwägung nicht in jedem Fall zugunsten des Arbeitnehmers aus, solange er dem Arbeitgeber in Zukunft voraussichtlich zu deutlich mehr als der Hälfte seiner Gesamtarbeitszeit zur Verfügung stehen wird.

Die vorstehenden Grundsätze genügen den vom Gerichtshof der Europäischen Union aufgestellten Vorgaben an die einseitige Beendigung von Arbeitsverhältnissen in solchen Fällen, in denen die krankheitsbedingten Fehlzeiten auf eine Behinderung des Arbeitnehmers iSd. RL 2000/78/EG zurückzuführen sind. Mit der Möglichkeit, ein Arbeitsverhältnis außerordentlich mit Auslauffrist kündigen zu können, wenn der Leistungsaustausch dauerhaft in seinem Kernbereich gestört ist, wird in angemessener Weise das legitime Ziel verfolgt, übermäßigen Belastungen des Arbeitgebers durch wiederkehrende krankheitsbedingte Fehlzeiten zu begegnen. Durch die hohen Voraussetzungen, die an die Fehlzeitenprognose und das Ausmaß der Beeinträchtigung betrieblicher Interessen gestellt werden, sowie durch die sich ggf. aus § 167 Abs. 2 SGB IX ergebenden Anforderungen und das Erfordernis einer umfassenden Interessenabwägung ist gewährleistet, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses tatsächlich ultima ratio bleibt. Das gilt umso mehr, wenn die besonderen verfahrensrechtlichen Absicherungen berücksichtigt werden, die ggf. für schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Arbeitnehmer nach §§ 168 ff. und § 178 SGB IX hinzutreten. Überdies ist in Bezug auf die Fallgruppe “gravierende Äquivalenzstörung allein durch Entgeltfortzahlungskosten” zu beachten, dass das auf der zweiten Prüfungsstufe geforderte – sehr hohe – Maß an zu erwartenden entgeltfortzahlungspflichtigen Fehltagen pro Jahr gemäß § 3 Abs. 1 EFZG regelmäßig nicht erreicht sein wird, wenn die häufigen Fehlzeiten auf ein Grundleiden des Arbeitnehmers zurückzuführen sind, das zugleich eine Behinderung im unionsrechtlichen Sinn darstellt.

Nach alledem hätten im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Streitfall auf der zweiten Stufe angesichts von durchschnittlich 251 Arbeitstagen pro Jahr im Referenzzeitraum durchschnittlich 84 mit Entgeltfortzahlung belegte Arbeitstage jährlich ausgereicht, um eine gravierende Äquivalenzstörung anzunehmen und die zweite Stufe zu überwinden. Das ist nach dem Vortrag der Arbeitgeberin möglich. Auch musste die Interessenabwägung (dritte Stufe) nicht zwingend zugunsten des Arbeitnehmers ausgehen. Anderes folgt insbesondere nicht daraus, dass er – wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat – voraussichtlich noch zu (“deutlich”) mehr als der Hälfte seiner Jahresarbeitszeit zur Verfügung stehen wird.

Die angefochtene Entscheidung stellt sich nicht im Ergebnis als richtig dar (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die streitbefangene Kündigung ist nicht aus Gründen außerhalb von § 626 Abs. 1 BGB unwirksam.

Die Arbeitgeberin hat die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat die Kündigung sowohl mit häufigen (Kurz-)Erkrankungen als auch mit lang anhaltender Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers begründet. Damit hat sie jeweils Dauertatbestände geltend gemacht, die sich bis zum Kündigungszeitpunkt fortlaufend neu verwirklichten.

Die Kündigung ist nicht nach § 79 Abs. 4 BPersVG unwirksam. Die Arbeitgeberin hat den Personalrat jedenfalls zu dem Kündigungsgrund “häufige Kurzerkrankungen” ordnungsgemäß nach § 74 LPVG NRW beteiligt. Soweit der Arbeitnehmer rügt, die Arbeitgeberin habe den Personalrat unzutreffend über seine Fehlzeiten informiert, verkennt er, dass der Inhalt der Unterrichtung nach § 74 Abs. 2 LPVG NRW grundsätzlich subjektiv determiniert ist. Anhaltspunkte dafür, die Arbeitgeberin habe dem Personalrat die Fehlzeiten des Arbeitnehmers schon aus ihrer Sicht unrichtig mitgeteilt, sind weder vom Arbeitnehmer vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Der Arbeitnehmer rügt ohne Erfolg, die Schwerbehindertenvertretung sei vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden. § 95 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 29.12 2016 geltenden Fassung (aF) galt nur für schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Menschen. Zu diesen rechnete der Arbeitnehmer nicht. Im Übrigen führte eine Verletzung der sich aus § 95 Abs. 2 SGB IX aF ergebenden Beteiligungspflicht nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.

Für das Verfahren nach der Zurückverweisung sind folgende Hinweise angezeigt:

Das Landesarbeitsgericht wird zunächst festzustellen haben, an wie vielen Tagen der Arbeitnehmer im Referenzzeitraum krankheitsbedingt arbeitsunfähig war und in welchem Umfang die Fehlzeiten mit Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (nicht: mit tariflichen Zuschüssen zum Krankengeld) “belastet” waren. Dabei kommt es, da auf den (Regel-)Referenzzeitraum nur zurückgegriffen wird, um eine Prognose für die Zukunft zu treffen, darauf an, für welche Tage der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung hatte, und nicht darauf, für wie viele Tage die Arbeitgeberin ihm – ggf. unberechtigt – Entgeltfortzahlung geleistet hat. Insofern gilt eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Der Arbeitgeber kann sich zunächst auf den Vortrag beschränken, für welche Tage er im Referenzzeitraum aufgrund der ihm vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen Zahlungen erbracht hat. Hierauf ist es Sache des Arbeitnehmers, der innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG länger als sechs Wochen arbeitsunfähig war, darzulegen, dass und inwieweit in Wahrheit Fortsetzungserkrankungen vorgelegen haben sollen und – bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen von solchen – den Arzt oder die Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Die Folgen der Nichterweislichkeit einer anderen Erkrankung (das non-liquet-Risiko) sind nach allgemeinen Grundsätzen vom Arbeitgeber zu tragen. Ihn trifft insoweit die objektive Beweislast, denn der Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung gehört zu den Voraussetzungen des Kündigungsgrundes.

Sollte das Landesarbeitsgericht dazu gelangen, dass das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung gravierend gestört war, weil die Arbeitgeberin voraussichtlich Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für durchschnittlich zumindest 84 Arbeitstage pro Jahr zu leisten hatte, wird es eine neue Interessenabwägung vorzunehmen haben, bei der es ua. berücksichtigen wird, dass die Arbeitgeberin an das im Kernbereich gestörte Vertragsverhältnis bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze durch den Arbeitnehmer noch über sehr viele Jahre gebunden gewesen wäre.

Gegebenenfalls wird das Berufungsgericht – erst – in der Kombination der zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten mit beachtlichen Betriebsablaufstörungen in die Interessenabwägung gelangen bzw. zu einer Interessenabwägung zulasten des Arbeitnehmers kommen. Das setzte freilich substanziierten Vortrag der Arbeitgeberin zu derartigen Beeinträchtigungen voraus, an dem es bislang – soweit ersichtlich – fehlt. Erst recht ist derzeit nicht erkennbar, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien allein deshalb als gravierend gestört (“sinnentleert”) anzusehen sein könnte, weil die Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers nach ihrer Häufigkeit und Dauer dazu führten, dass sein Einsatz nicht mehr sinnvoll und verlässlich geplant werden kann, und er damit zur Förderung des Vertragszwecks faktisch nichts mehr beiträgt.

Unter Umständen wird das Landesarbeitsgericht zu prüfen haben, ob in einem – zeitnah zum Ausspruch der Kündigung durchgeführten – bEM Maßnahmen hätten erkannt werden können, mit deren Hilfe die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Arbeitnehmers in einem für die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung relevanten Umfang hätten reduziert werden können. Zu einer solchen Prüfung besteht keine Veranlassung, wenn, was vorliegend nicht ausgeschlossen erscheint und zwischen den Parteien sogar unstreitig sein könnte, feststeht, dass der Arbeitnehmer einem – weiteren – bEM in keinem Fall zugestimmt hätte. Dann bliebe die Nichtdurchführung des Verfahrens “kündigungsneutral”.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. April 2018 – 2 AZR 6/18