Steuerhinterziehung – durch den Vorsteher eines Finanzamtes

Selbst wenn bei einem außerdienstlich begangenen Dienstvergehen eines Beamten vom Strafgericht lediglich auf eine Geldstrafe erkannt wurde, kommt gleichwohl auch die disziplinare Höchstmaßnahme in Betracht, wenn dies wegen konkreter, für die Frage des Vertrauens- und Ansehensverlustes des Dienstherrn oder der Allgemeinheit bedeutsamer Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt erscheint1.

Für die disziplinare Ahndung einer außerdienstlichen Steuerhinterziehung durch den Vorsteher eines Finanzamtes ist entscheidend, dass das Fehlverhalten einen dienstlichen Bezug hat (hier: im Kernbereich der Dienstpflichten, zumal in Vorgesetztenfunktion) und damit Rückschlüsse auf die Dienstausübung des Beamten zulässt.

Die Höhe der hinterzogenen Steuern oder des (damit nicht identischen, ggf. geringeren) Schadens des Fiskus ist für die Bewertung der Schwere des Dienstvergehens und des Vertrauensverlustes des Dienstherrn oder der Allgemeinheit unerheblich.

Hat das Strafgericht einen Zeugen in der Hauptverhandlung vernommen und dessen Aussagen im Strafurteil gewürdigt, stellen spätere schriftliche Aussagen dieses Zeugen, aus denen sich im Verhältnis zur Aussage im Strafverfahren nichts wesentlich Abweichendes ergibt, kein neues Beweismittel dar, das die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung (hier gemäß § 57 Abs. 1 LDG MV a.F.) aufheben und zu einer Lösung von den auf der Zeugenvernehmung beruhenden tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils Anlass geben könnte.

Aus § 88 Abs. 4 bis 6 des Disziplinargesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.11.20152 folgt, dass die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes eingeleiteten förmlichen Disziplinarverfahren sowie anhängigen gerichtlichen Disziplinarverfahren nach den Bestimmungen des bisherigen Rechts fortgeführt werden, d.h. nach dem Disziplinargesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 04.07.20053.

Der Beamte steht als Regierungsdirektor (Besoldungsgruppe A 15) im Dienst des klagenden Landes. Seit 1996 war der Beamte Vorsteher eines Finanzamts. Anfang 2008 wurde gegen den Beamten ein Disziplinarverfahren wegen des Vorwurfs eingeleitet, in fünf Fällen zusammen mit seiner ersten Ehefrau in den Einkommenssteuererklärungen der Jahre 2002 bis 2006 vorsätzlich unrichtige Angaben über seine persönlichen Verhältnisse gemacht zu haben, um die Veranlagungsart „Zusammenveranlagung“ zu erwirken. Der Beamte und seine damalige Ehefrau hätten auf dem jeweiligen Deckblatt der Steuererklärungen die abweichende Anschrift der ersten Ehefrau des Beamten nicht angegeben, die Zusammenveranlagung gewählt, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zusammenveranlagung wegen des Getrenntlebens der Eheleute ab Mitte 2001 ab dem Besteuerungszeitraum 2002 nicht mehr gegeben gewesen seien sowie Angaben zur Gütergemeinschaft/Gütertrennung unterlassen. Der Beamte wurde wegen Steuerhinterziehung in vier Fällen und wegen versuchter Steuerhinterziehung in einem Fall zu einer Gesamtgeldstrafe von 160 Tagessätzen á 100 € verurteilt.

Im Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht Schwerin den Beamten aus dem Beamtenverhältnis entfernt4. Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern in Greifswald hat die Berufung des Beamten gegen das Urteil zurückgewiesen5. Das Bundesverwaltungsgericht wies die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde nun ebenfalls zurück:

Die Revision ist nicht wegen der vom Beamten geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 69 LDG MV a.F. und § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine – vom Beschwerdeführer zu bezeichnende – grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird6. Das ist hier nicht der Fall.

Die Beschwerde sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache zunächst in der Frage, „ob eine außerdienstlich begangene Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO, die nach Maßgabe der Grundsatzentscheidung des BGH vom 02.12.20087 auf Grund des Steuerschadens (bis 50.000 €) höchstens mit Geldstrafe geahndet wird, die disziplinare Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis rechtfertigt.“„Wenn nach der o.g. Grundsatzentscheidung des BGH die Höhe der verkürzten Steuern ein bestimmender Strafzumessungsumstand ist, darf dieselbe Höhe der verkürzten Steuern, die im Strafrecht zu einer niedrigen Strafhöhenbemessung führt, im Disziplinarrecht ein schweres Dienstvergehen darstellen, für dessen Ahndung die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis tat- und schuldangemessen ist?““ob die im Strafurteil zugunsten des Beamten getroffenen Strafzumessungserwägungen als anerkannte Minderungsgründe oder als sonstige mildernde Umstände bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme zu berücksichtigen sind, „“ob, wenn im Strafurteil im Rahmen der Strafzumessung die Geringfügigkeit der Steuerverkürzung auf Grundlage einer ‚Alternativberechnung‘ festgestellt und zugunsten des Beamten berücksichtigt wird, dieser Umstand ebenfalls bei der Bestimmung der tat- und schuldangemessenen Disziplinarmaßnahme zugunsten des Beamten zwingend nach § 57 LDG MV oder als Milderungsgrund Berücksichtigung finden muss, „“ob sich bei der außerdienstlichen Steuerhinterziehung die ‚Schwere des Dienstvergehens‘ nach der Größenordnung des aus dem Strafurteil ersichtlichen Steuerhinterziehungsbetrages oder nach der nicht identischen (ggf. geringen) Höhe des dem Fiskus entstandenen Schadens beurteilt, „</cite nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, weil sie im angestrebten Revisionsverfahren nicht rechtsgrundsätzlich geklärt werden könnte. Denn wie dargelegt, ist hier für die Beurteilung der Schwere des Dienstvergehens des Beamten maßgebend, dass es Rückschlüsse auf die zukünftige Erfüllung seiner innerdienstlichen Pflichten zulässt. Dieser dienstliche Bezug und nicht eine bestimmte Höhe des Hinterziehungsbetrags oder des dem Fiskus entstandenen Schadens sind hier für die Bewertung der Schwere und des Verlusts des Vertrauens des Dienstherrn i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 LDG MV a.F. entscheidend.

Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz (§ 69 LDG MV a.F. i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

Eine Divergenz i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht, der Gemeinsame Bundesverwaltungsgericht der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder das Bundesverfassungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen8. Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht oder ein anderes divergenzfähiges Gericht aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge dagegen nicht. Die Entscheidungen müssen dasselbe Gesetz und dieselbe Fassung des Gesetzes zum Gegenstand haben9.

Diesen Voraussetzungen genügt das Beschwerdevorbringen nicht.

Zunächst entnimmt die Beschwerde Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts den Rechtssatz, bei der disziplinarrechtlichen Würdigung oder der Bemessung der Disziplinarmaßnahme bei einem außerdienstlichen Dienstvergehen sei die Bewertung des Dienstvergehens durch die Strafgerichte zugrunde zu legen und hält dem Berufungsgericht vor, einen hiervon abweichenden Rechtssatz aufgestellt zu haben. Dies trifft nicht zu. Denn in den Urteilen vom 18.06.201510 sowie im Beschluss vom 05.07.201611 hat das Bundesverwaltungsgericht lediglich zum Ausdruck gebracht, dass bei einer außerdienstlich begangenen Straftat zur Festlegung der Schwere des begangenen Dienstvergehens, die richtungsweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist, indiziell auf die vom Strafgericht konkret ausgesprochene Sanktion zurückgegriffen werden kann. Ist von den Strafgerichten bei einem außerdienstlich begangenen Dienstvergehen lediglich auf eine Geldstrafe erkannt worden, kommt im Disziplinarverfahren die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur ausnahmsweise und bei Vorliegen disziplinarrechtlich bedeutsamer Umstände in Betracht.

Hiervon ist das Oberverwaltungsgericht nicht rechtssatzmäßig abgewichen. Denn es hat lediglich ausgeführt, dem Umstand, dass das Strafgericht den Beamten lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt hat, könne als Indiz für die Schwere der außerdienstlichen Dienstpflichtverletzung nicht entscheidend herangezogen werden. Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts12 hat es die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme trotz der strafgerichtlichen Ahndung des Verhaltens des Beamten mit einer bloßen Geldstrafe mit konkreten, für die Frage des Verlustes des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit (§ 15 Abs. 2 Satz 1 LDG MV a.F.) bedeutsamen Umständen des Einzelfalls gerechtfertigt.

Ferner rügt die Beschwerde, das Oberverwaltungsgericht sei von der in Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zum Ausdruck gebrachten Bezugnahme auf das Statusamt des betroffenen Beamten anstelle des konkreten Dienstpostens rechtssatzmäßig abgewichen. Auch dies trifft nicht zu.

Zunächst beziehen sich die Ausführungen in den von der Beschwerde genannten Urteilen vom 18.06.2015 – 2 C 9.14 –13; und vom 10.12 2015 – 2 C 50.13 –14 auf die Frage der Disziplinarwürdigkeit eines außerdienstlichen Verhaltens eines Beamten nach Maßgabe von § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG. Danach ist ein Verhalten außerhalb des Dienstes nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Demgegenüber befassen sich die von der Beschwerde insoweit beanstandeten Darlegungen des Berufungsurteils mit der Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens im Rahmen von § 15 Abs. 2 LDG MV a.F.

Im Übrigen misst auch das Bundesverwaltungsgericht bei der Frage der Disziplinarwürdigkeit außerdienstlichen Fehlverhaltens nach Maßgabe von § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG dem Dienstposten, d.h. dem konkreten Aufgabenbereich des Beamten, Bedeutung zu. Denn er geht davon aus, dass sich aus dem sachlichen Bezug des Dienstvergehens zum konkreten Aufgabenbereich des Beamten eine Indizwirkung ergeben kann, weil der Beamte mit dem ihm übertragenen konkreten Amt identifiziert wird15. Je näher der Bezug des außerdienstlichen Fehlverhaltens des Beamten zu dem ihm übertragenen Aufgabenbereich ist, umso eher kann davon ausgegangen werden, dass sein Verhalten geeignet ist, das Vertrauen zu beeinträchtigen, das sein Beruf erfordert.

Schließlich besteht auch in Bezug auf die Bemessung der konkreten Disziplinarmaßnahme keine rechtssatzmäßige Abweichung. Denn den von der Beschwerde insoweit genannten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts16 kann nicht der Rechtssatz entnommen werden, dass die Entfernung eines Beamten aus dem Beamtenverhältnis wegen des außerdienstlichen Dienstvergehens der Steuerhinterziehung ausschließlich dann in Betracht kommt, wenn der Betrag der hinterzogenen Steuern einen siebenstelligen Euro-Betrag erreicht. Vielmehr hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 28.07.201117 dargelegt, dass sich die Überlegungen zu der in Betracht kommenden Disziplinarmaßnahme bei dem außerdienstlichen Pflichtenverstoß der Steuerhinterziehung in Abhängigkeit von der Höhe des Hinterziehungsbetrags auf die Fälle beziehen, in denen die außerdienstliche Steuerhinterziehung keinen dienstlichen Bezug aufweist und deshalb auch keine Rückschlüsse auf die zukünftige Dienstausübung des Betroffenen zulässt. Auch der Wehrdienstsenat18 spricht davon, dass nachteilige Umstände von erheblichem Eigengewicht zu berücksichtigen sein können. Dies gilt auch für das Urteil des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.09.200419.

Die in der Beschwerdebegründung geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 69 LDG MV a.F. und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.

Ohne Erfolg rügt der Beamte eine Verletzung der dem Oberverwaltungsgericht obliegenden Aufklärungspflicht nach § 86 VwGO.

Insoweit beanstandet der Beamte zunächst, dass das Oberverwaltungsgericht den vom Beamten in der Berufungsverhandlung gestellten unbedingten Beweisantrag auf Vernehmung der früheren Ehefrau des Beamten fehlerhaft abgelehnt habe. Das ist nicht der Fall. Für das Vorliegen eines Fehlers des Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht kommt es auf dessen Rechtsauffassung an, weil die Entscheidung nur dann auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruhen kann. Da aber das Berufungsgericht davon ausging, es sei mangels Anhaltspunkten für die Unrichtigkeit der Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils i.S.v. § 57 Abs. 1 Satz 2 LDG MV a.F. an diese gebunden und nicht zu eigenen Feststellungen befugt, konnte es sich nicht von diesen lösen und war deshalb an der Vernehmung der Zeugin rechtlich gehindert.

Der Sache nach geht es dem Beamten mit seiner Beschwerdebegründung nicht um den Verstoß gegen die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts, sondern um die nach Ansicht des Beamten fehlerhafte Handhabung des § 57 Abs. 1 LDG MV a.F. durch das Oberverwaltungsgericht, die der Entscheidung über die Vernehmung der früheren Ehefrau des Beamten zugrunde liegt. Unrichtig sei die Annahme des Berufungsgerichts, an die tatsächlichen Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils gebunden und damit an der Vernehmung der früheren Ehefrau des Beamten zum Beweis der entscheidungserheblichen Tatsache gehindert zu sein, die damalige Ehefrau des Beamten habe diesen jahrelang glauben und hoffen lassen, es handele sich lediglich um eine vorübergehende räumliche Trennung ohne Scheidungsabsicht und die Eheleute würden wieder zueinander finden und -kommen. Die Handhabung des § 57 Abs. 1 LDG MV a.F. durch das Berufungsgericht begegnet aber im Hinblick auf die in der Beschwerdebegründung insoweit geltend gemachten Umständen keinen Bedenken.

Die Verwaltungsgerichte sind nur dann berechtigt und verpflichtet, sich von den Tatsachenfeststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils zu lösen und den disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalt eigenverantwortlich zu ermitteln, wenn sie ansonsten "sehenden Auges" auf der Grundlage eines unrichtigen oder aus rechtsstaatlichen Gründen unverwertbaren Sachverhalts entscheiden müssten. Dies ist etwa der Fall, wenn die Feststellungen in einem entscheidungserheblichen Punkt unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind. Darüber hinaus entfällt die Bindungswirkung, wenn neue Beweismittel eingeführt werden, die dem Strafgericht nicht zur Verfügung standen und nach denen seine Tatsachenfeststellungen zumindest auf erhebliche Zweifel stoßen20.

Zwar stammt der handschriftliche Brief der früheren Ehefrau des Beamten vom 20.07.2012 und konnte dementsprechend nicht durch das Landgericht bei seiner Urteilsfindung berücksichtigt werden, dessen Strafurteil vom 11.09.2009 letztendlich rechtskräftig wurde. Es handelt sich dabei aber nicht um ein neues Beweismittel, aufgrund dessen die Tatsachenfeststellungen des Strafgerichts zumindest auf erhebliche Zweifel stoßen.

Die der Rechtssicherheit dienende Bindungswirkung legitimiert sich aus dem grundsätzlich berechtigten Vertrauen in die Richtigkeit derjenigen Feststellungen eines Strafgerichts, über die nach Prozessregeln in einer Hauptverhandlung (vollständig) Beweis erhoben worden ist, wobei es aus der Sicht des Strafrichters für seine Entscheidung auch auf diese Feststellungen ankommen muss. Ausgehend von diesem Grundgedanken der Bindungswirkung kommt eine Lösung von den Bindungen des Strafurteils bei neuen Sachverständigengutachten oder bei Aussagen von solchen Zeugen in Betracht, die erst nachträglich bekannt werden oder erst im Anschluss eines Strafverfahrens vernehmbar sind, nicht aber bei weiteren Bekundungen von solchen Personen, die im Strafverfahren gerade zu dem betreffenden Sachverhalt als Zeugen vernommen worden sind und deren Aussage das Strafgericht bei seiner Sachverhaltsfeststellung zu würdigen hatte.

Die frühere Ehefrau des Beamten hat in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht am 9.09.2009 als Zeugin zur Sache ausgesagt. Das Landgericht hat sich eingehend mit der Aussage der früheren Ehefrau des Beamten in der Hauptverhandlung befasst und hat auch deren Intention berücksichtigt, mit ihrer Aussage die "Version" des Beamten zu stützen. Unter Würdigung sämtlicher Umstände, auch unter Berücksichtigung der von den früheren Eheleuten vor einem Notar geschlossenen Vereinbarungen – Ehevertrag, Grundstücksüberlassungsvertrag und Erbverzichtsvertrag, ist das Landgericht zu der Erkenntnis gelangt, dass zumindest auf der Seite der früheren Ehefrau des Beamten seit Ende 2001 jeglicher Wille gefehlt hatte, die häusliche Gemeinschaft mit dem Beamten wieder herzustellen und dies dem Beamten während des gesamten Tatzeitraums auch bewusst war. Wenn aber das Strafgericht die konkrete Aussage einer Zeugin zu einem bestimmten Umstand – hier die Frage der Aussicht auf Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft – bei seinem Strafurteil gewürdigt hat, stellen spätere schriftliche Aussagen, die nicht darlegen, dass nunmehr im Verhältnis zur Aussage im Strafverfahren wesentlich Abweichendes zu berichten ist, keine neuen Beweismittel dar, die die vom Gesetzgeber angeordnete Bindungswirkung aufheben können.

Aus den in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründen folgt auch kein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Sachverhalts- und Beweiswürdigung einer Tatsacheninstanz ist der Beurteilung des Revisionsgerichts nur insoweit unterstellt, als es um Verfahrensfehler i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geht. Rügefähig ist damit nicht das Ergebnis der Beweiswürdigung, sondern nur ein Verfahrensvorgang auf dem Weg dorthin. Derartige Mängel liegen insbesondere vor, wenn das angegriffene Urteil von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, also etwa entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder auf einer aktenwidrigen Tatsachengrundlage basiert21. Das Gericht darf nicht in der Weise verfahren, dass es einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen oder Beweisergebnisse nicht in die rechtliche Würdigung einbezieht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts, auch wenn die darauf basierende rechtliche Würdigung als solche nicht zu beanstanden ist22. Das Ergebnis der gerichtlichen Beweiswürdigung selbst ist vom Revisionsgericht nur daraufhin nachzuprüfen, ob es gegen Logik (Denkgesetze) und Naturgesetze verstößt oder gedankliche Brüche und Widersprüche enthält23.

Zunächst macht der Beamte geltend, die Überlegungen des Oberverwaltungsgerichts zur Höhe des der früheren Ehefrau des Beamten in den Jahren 2002 bis 2005 – ursprünglich – entstandenen Steuernachteils genügten nicht den vorstehenden Anforderungen des Überzeugungsgrundsatzes des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dies trifft jedoch nicht zu, weil die Beschwerde insoweit verschiedene Aspekte miteinander vermischt, die im angegriffenen Berufungsurteil zutreffend voneinander getrennt sind. Unbegründet ist damit zugleich der insoweit erhobene Vorwurf, das Oberverwaltungsgericht habe aktenwidrige Feststellungen getroffen oder sei ohne rechtfertigenden Grund von den tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts abgewichen.

Die von der Beschwerde angegriffenen Ausführungen des Berufungsgerichts befassen sich mit dem Vorbringen des Beamten, tatsächlich sei der beim klagenden Dienstherrn eingetretene wirtschaftliche Schaden als relativ gering einzustufen, weil sich unter Berücksichtigung der nachträglichen Einzelveranlagung der damaligen Eheleute für die Jahre 2002 und 2003 tatsächlich ein Saldo zu ihren Lasten und lediglich in den Jahren 2004 und 2005 ein Saldo zu ihren Gunsten ergeben habe. Diesem Vortrag des Beamten hat das Oberverwaltungsgericht deshalb nur geringe Bedeutung beigemessen, weil aufgrund der für die Eheleute vorgelegten – ursprünglichen – Steuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2005, die auf den unzutreffenden Steuererklärungen in den Jahren 2002 bis 2005 beruhen, der beim Beamten zunächst entstandene steuerliche Vorteil mit diesen Beträgen nicht korrespondiere und es zudem zu einem erheblichen Steuernachteil zu Lasten der damaligen Ehefrau gekommen sei. Diese Aussage betrifft aber ersichtlich lediglich die Steuerschuld der früheren Ehefrau nach Maßgabe der ursprünglich erlassenen Steuerbescheide. Tatsächlich hat die nachträgliche Einzelveranlagung bei der früheren Ehefrau des Beamten dazu geführt, dass ihr angesichts ihrer unterjährig nach Steuerklasse V überhöhten Lohnsteuerzahlungen gegenüber dem Fiskus Steuererstattungsansprüche zustehen.

Andererseits hat das Berufungsgericht tragend auf die bindenden Überlegungen des Landgerichts zur Erfüllung des Tatbestandes des § 370 AO abgestellt. Danach kommt es für die Schadenshöhe aufgrund von § 370 Abs. 4 Satz 3 AO gerade nicht auf die Höhe des letztendlich beim Fiskus verbleibenden Steuerschadens infolge einer "Verrechnung" an. Entscheidend ist bereits die Verkürzung der Steuern oder die Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile durch unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen, hier die unrichtige Angabe der Veranlagungsart "Zusammenveranlagung" durch den Beamten.

In Bezug auf den "anerkannten" mildernden Gesichtspunkt der "Überwindung einer negativen Lebensphase" wird in der Beschwerdebegründung geltend gemacht, das Oberverwaltungsgericht habe den Umstand übergangen, dass der Pflichtenverstoß eine Folge der Ehekrise gewesen sei. Dieser Vorwurf trifft nicht zu, weil das Berufungsgericht die familiäre Situation des Beamten nach dem Auszug seiner früheren Ehefrau aus dem gemeinsamen Haus in die Prüfung mit einbezogen hat. Der Sache nach wird damit lediglich vorgebracht, das Oberverwaltungsgericht habe diesen "anerkannten" Milderungsgrund zu Unrecht verneint. Unter dem Vorwand eines Verstoßes gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann aber nicht die inhaltliche Richtigkeit der Sachentscheidung – hier die disziplinarrechtliche Bemessungsentscheidung aufgrund des festgestellten Sachverhalts – des Oberverwaltungsgerichts gerügt werden.

Die Geringfügigkeit des dem Dienstherrn letztendlich verbliebenen wirtschaftlichen Schadens und die besondere familiäre Belastungssituation – in Gestalt der Trennung von der Ehefrau, der gebotenen Versorgung und Betreuung der Kinder, der Pflege der erkrankten Freundin sowie die eigene Erkrankung – hat das Berufungsgericht in die Bemessungsentscheidung eingestellt. Unter Berufung auf § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann aber nicht geltend gemacht werden, das Berufungsgericht hätte bei der inhaltlichen Würdigung der konkreten Umstände zu einem anderen Ergebnis, d.h. zu einer milderen Maßnahme kommen müssen.

Schließlich ist die Revision auch nicht wegen der vom Beamten geltend gemachten Verletzung des § 57 Abs. 1 LDG MW a.F. und des Gebots des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG im Hinblick auf die Frage der teilweisen Überweisung der Steuererstattung auf das Konto der früheren Ehefrau des Beamten zuzulassen.

Wie dem angegriffenen Urteil zu entnehmen ist, hat das Oberverwaltungsgericht das Vorbringen des Beamten, er habe die seiner damaligen Ehefrau für die Jahre 2002 und 2003 anteilig zustehende Steuererstattung in Höhe von 389,23 € am 17.01.2005 auf ihr Konto überwiesen und diesen Zweck auch bei der Überweisung kenntlich gemacht, zur Kenntnis genommen und diesen Vortrag in Bezug auf die fragliche Lösung von den tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils rechtlich bewertet. Damit hat es dem Anspruch des Beamten auf rechtliches Gehör Genüge getan.

Ausgehend von den oben dargestellten Grundsätzen zu einer Lösung von den tatsächlichen Feststellungen eines Strafurteils nach § 57 Abs. 1 Satz 2 LDG MV a.F. kann die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts auch inhaltlich nicht beanstandet werden. Denn aufgrund des Vorbringens des Beamten in der Schrift zur Begründung seiner Berufung war das Oberverwaltungsgericht zur Lösung von der Feststellung des Landgerichts, der Beamte habe den objektiven wie den subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 und 2 AO in fünf Fällen erfüllt, nach § 57 Abs. 1 Satz 2 LDG MV a.F. nicht berechtigt. Für das Landgericht hing die Erfüllung des objektiven und subjektiven Tatbestands der Steuerhinterziehung nach § 370 AO nicht davon ab, dass der Beamte die Steuererstattung auch nicht teilweise – in Höhe von 389, 23 € – an seine Ehefrau weitergegeben, sondern vollständig für sich verwendet hat.

BVer­wG – Be­schluss vom 27. Dezember 2017 – 2 B 18.17

  1. wie BVerwG, Urteil vom 18.06.2015 – 2 C 9.14, BVerwGE 152, 228 Rn. 37 und Beschluss vom 05.07.2016 – 2 B 24.16, Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 38 Rn. 13 []
  2. GVOBl. M-V S. 437 – LDG MV []
  3. GVOBl. M-V S. 274 – LDG MV a.F. []
  4. VG Schwerin, Urteil vom 08.05.2014 – VG 10 A 133/13 []
  5. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 19.10.2016 – OVG 10 L 178/14 []
  6. stRspr, BVerwG, Beschluss vom 02.10.1961 – 8 B 78.61, BVerwGE 13, 90, 91 f. []
  7. BGH vom 02.12.2008 – 1 StR 416/08 []
  8. stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19.08.1997 – 7 B 261.97, Buchholz 310 § 133, n.F. VwGO Nr. 26 S. 14; und vom 25.05.2012 – 2 B 133.11, NVwZ-RR 2012, 607 Rn. 5 []
  9. stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17.01.1995 – 6 B 39.94, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55; und vom 09.04.2014 – 2 B 107.13, NVwZ 2014, 1174 Rn. 3 ff. m.w.N. []
  10. BVerwG, Urteile vom 18.06.2015 – 2 C 9.14, BVerwGE 152, 228, Rn. 37; und – 2 C 19.14 []
  11. BVerwG, Beschluss vom 05.07.2016 – 2 B 24.16, Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 38 Rn. 13 []
  12. BVerwG, Urteil vom 18.06.2015 – 2 C 9.14, BVerwGE 152, 228 Rn. 38 und Beschluss vom 05.07.2016 – 2 B 24.16, Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 38 Rn. 13 []
  13. BVerwGE 152, 228 Rn. 16 []
  14. Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 39 Rn. 34 []
  15. BVerwG, Urteil vom 18.06.2015 – 2 C 9.14, BVerwGE 152, 228 Rn. 37 []
  16. BVerwG, Urteile vom 21.06.2011 – 2 WD 10.10, Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 8; vom 08.09.2004 – 1 D 18.03, Buchholz 235.1 § 85 BDG Nr. 7; und vom 28.07.2011 – 2 C 16.10, BVerwGE 140, 185 Rn. 33 f. []
  17. BVerwG, Urteil vom 28.07.2011 – 2 C 16.10, BVerwGE 140, 185 Rn. 33 f. []
  18. BVerwG, Urteil vom 21.06.2011 – 2 WD 10.10, Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 8 Rn. 41 []
  19. BVerwG, Urteil vom 08.09.2004 – 1 D 18.03, Buchholz 235.1 § 85 BDG Nr. 7 S. 14 []
  20. BVerwG, Urteile vom 29.11.2000 – 1 D 13.99, BVerwGE 112, 243, 245; und vom 16.03.2004 – 1 D 15.03, Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 36 S. 81 f.; Beschlüsse vom 24.07.2007 – 2 B 65.07, Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 4 Rn. 11; vom 26.08.2010 – 2 B 43.10, Buchholz 235.1 § 57 BDG Nr. 3 Rn. 5; vom 01.03.2013 – 2 B 78.12 – ZBR 2013, 262 Rn. 7; und vom 18.06.2014 – 2 B 55.13 21 []
  21. BVerwG, Beschlüsse vom 13.02.2012 – 9 B 77.11, Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 73 Rn. 7; vom 21.05.2013 – 2 B 67.12 – DokBer 2013, 269 Rn. 18; und vom 23.12 2015 – 2 B 40.14, Buchholz 449 § 3 SG Nr. 82 S. 107 m.w.N. []
  22. BVerwG, Urteile vom 02.02.1984 – 6 C 134.81, BVerwGE 68, 338, 339; und vom 05.07.1994 – 9 C 158.94, BVerwGE 96, 200, 208 f.; Beschlüsse vom 18.11.2008 – 2 B 63.08, Buchholz 235.1 § 17 BDG Nr. 1 Rn. 27; vom 31.10.2012 – 2 B 33.12, NVwZ-RR 2013, 115 Rn. 12; und vom 20.12 2013 – 2 B 35.13, Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 21 Rn.19 []
  23. stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 03.05.2007 – 2 C 30.05, Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 50 Rn. 16 sowie Beschluss vom 23.02.2017 – 2 B 14.15, Buchholz 237.1 Art. 62 BayLBG Nr. 1 Rn. 32 []