Die Hakenkreuz-Tasse in der Bundeswehrkaserne

Beim Einbringen von nationalsozialistischer Kennzeichen in eine Bundeswehrkaserne bildet ein Beförderungsverbot den Ausgangspunkt der disziplinarrechtlichen Zumessungserwägungen. Wird das Verwenden der nationalsozialistischen Kennzeichen nicht angeschuldigt, kann es nicht maßnahmeverschärfend berücksichtigt werden.

Zum Gegenstand der Urteilsfindung dürfen gemäß § 123 Satz 3 i.V.m. § 107 Abs. 1 WDO nur die angeschuldigten Pflichtverletzungen gemacht werden. Demzufolge muss der in der Anschuldigungsschrift gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 WDO zu bezeichnende Vorwurf so deutlich und klar sein, dass Umfang und Grenzen des Prozessstoffes konkret bestimmt sind und sich der Soldat für seine Verteidigung darauf einstellen kann1. Nach Maßgabe dessen beschränkt sich im hier entschiedenen Fall der dem Soldaten in der Anschuldigungsformel gegenüber erhobene Vorwurf darauf, die inkriminierte Tasse in die Kaserne eingebracht und aufbewahrt zu haben. Angeschuldigt worden ist nicht, sie anderen zur Schau gestellt zu haben.

Zwar ist grundsätzlich nicht schädlich, dass in der Anschuldigungs- wie in der Nachtragsanschuldigungsschrift als verletzte Dienstpflicht nur die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht und die Pflicht zum treuen Dienen bezeichnet wurden. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat den konkret angeschuldigten Sachverhalt unter allen in Betracht kommenden disziplinarrechtlichen Gesichtspunkten zu würdigen, sodass es nicht darauf ankommt, ob die Anschuldigungsschrift die verletzten Pflichten des Soldatengesetzes zutreffend und vollständig nennt. Die Rechtsausführungen in der Anschuldigungsschrift geben den Wehrdienstgerichten nicht den rechtlichen Rahmen ihrer Prüfung vor2.

Hier besteht jedoch die Besonderheit, dass sich auch bei Einbeziehung des zur Auslegung der Anschuldigungsschrift mit heranziehbaren Ermittlungsergebnisses3 daran nichts ändert. Dort wird zwar die Kenntnisnahme der Tasse durch die Stubenkameraden und den Batteriefeldwebel sowie die Vertrauensperson erwähnt; es handelt sich dabei jedoch nur um eine Beschreibung der Umstände, unter welchen das Dienstvergehen zu Tage trat. Die verbleibenden Zweifel, ob daraus zugleich ein separater Handlungsvorwurf abgeleitet werden kann, wirken sich zu Lasten des Bundes aus4. Desgleichen gilt für die Annahme des Bundeswehrdisziplinaranwalts, der Soldat habe einen Verstoß auch gegen die Kameradschaftspflicht begangen. Ein solches Verhalten ist in der Anschuldigungsschrift nicht ansatzweise thematisiert worden5.

Im hier vom Bundesverwaltungsgericht als Berufungsgericht entschiedenen Fall hat der Soldat gestanden, die mit einem Hakenkreuz versehene Tasse in die Kaserne verbracht zu haben. Soweit es den subjektiven Tatbestand betrifft, steht zur Überzeugung des Bundesverwaltungsgerichts fest, dass der Soldat die Tasse in Kenntnis, dass sich darauf das Hakenkreuz befand und dass ein Einbringen derartiger Gegenstände in die Kaserne und ein dortiges Aufbewahren verboten waren, wissentlich und willentlich in seine Stube verbrachte und dort aufbewahrte. Nicht hingegen ist davon auszugehen, dass er erst nach dem morgendlichen Kaffeetrinken mit seinen Kameraden am 19.06.2018 erkannte, dass sich darauf ein Hakenkreuz befand und, dass dies unzulässig war. Er hat selbst eingeräumt, dass ihm das Signet des Deutschen Afrika-Korps und die nationalsozialistische Konnation des darauf befindlichen Hakenkreuzes bekannt war. Am 3.03.2016 hatte er eine Belehrung darüber unterzeichnet, dass ein Einbringen nationalsozialistischer Kennzeichen in die Kaserne verboten war. Zudem befand er sich zum Zeitpunkt des Dienstvergehens bereits seit mehreren Jahren im Dienst der Bundeswehr, hat dort an politischen Bildungsmaßnahmen teilgenommen und war nach eigener Einlassung über die Durchsuchungsmaßnahmen innerhalb von Bundeswehrliegenschaften informiert, die 2017 im Zusammenhang mit der Festnahme des Franco A. standen, und auch darauf abzielten, Militärdevotionalien nationalsozialistischer Konnation zu beseitigen. Seine Einlassung, ihm sei erst am 19.06.2018 die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens bewusst geworden, ist unglaubwürdig und lässt den Vorsatz – gekennzeichnet durch Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung6 – unberührt.

Ob ein Verbotsirrtum vermeidbar oder unvermeidbar war, bestimmt sich nach der vom Soldaten nach seiner Amtsstellung7 und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten8 zu fordernden Sorgfalt unter Berücksichtigung ihm zugänglicher Informationsmöglichkeiten. Das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit setzt dabei in der Regel keine juristisch genaue Kenntnis der verletzten Rechtsvorschriften und Verwaltungsanordnungen voraus. Es genügt, wenn der Soldat Umfang und Inhalt seiner, auf diesen Regelungen beruhenden, Dienstpflichten im weitesten Sinne erfasst. Davon ist im Regelfall aufgrund der Ausbildung eines Soldaten auszugehen. Im Zweifel wird von ihm erwartet, dass er sich bei seiner Dienststelle rechtzeitig über Umfang und Inhalt seiner Dienstpflichten erkundigt9. Nach Maßgabe dessen war der Soldat politisch hinreichend sensibilisiert, um Anlass zu haben, durch Rücksprache bei Vorgesetzten Klarheit über die Rechtslage herbeizuführen.

Der Soldat hat ein Dienstvergehen nach § 23 SG begangen.

Er hat mit dem vorsätzlichen Einbringen der Hakenkreuz-Tasse am 4.06.2018 in die Kaserne gegen Nr. 156 Satz 1 der seit dem 18.10.2016 gültigen Zentralrichtlinie und damit gegen die Pflicht zum innerdienstlichen Wohlverhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) und zum treuen Dienen verstoßen. § 7 SG schließt die Verpflichtung ein, dienstlichen Anweisungen auch dann zu folgen, wenn ihnen der Befehlscharakter nach § 11 SG i.V.m. § 2 Nr. 2 WStG fehlt10. Am Befehlscharakter fehlt es der Richtlinie deshalb, weil sie nicht vom Bundesverteidigungsminister oder in Vertretung von einem (beamteten) Staatssekretär erlassen worden ist, sondern vom Zentrum für Innere Führung11. Anders als vom Truppendienstgericht angenommen, verbietet Nr. 156 Satz 1 Zentralrichtlinie nicht nur das Einbringen, sondern auch das Aufbewahren entsprechender Gegenstände. Da es sich um keine gesetzliche Regelung handelt, ist sie nicht nach den für die Rechtsnormen, sondern für Verwaltungsvorschriften maßgeblichen Grundsätzen, das heißt als Willenserklärung der anordnenden Stelle unter Berücksichtigung der tatsächlichen Handhabung, auszulegen12. Danach folgt bereits aus der Formulierung der Vorschrift, es sei untersagt, „auch nur vorübergehend“ Gegenstände dieser Art einzubringen, bei lebensnaher Sichtweise auch das Verbot eines Verwahrens.

Der Soldat hat somit bis zum 19.06.2018 gegen Nr. 156 der Zentralrichtlinie verstoßen. Denn das Hakenkreuz bildet ein Kennzeichen oder Propagandamittel einer verfassungswidrigen Organisation i.S. von § 86a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Es ist das Kennzeichen der NSDAP13. Dass es in Verbindung mit dem Signet des Afrika-Korps als einem Großverband der deutschen Wehrmacht und somit auf dem Wappenschild einer staatlichen Einrichtung dargestellt wird, ändert daran nichts14. Bereits im Zusammenhang mit dem Schutzzweck des § 86a StGB hat die Strafgerichtsbarkeit betont, die Norm wolle auch verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen gerade ungeachtet der damit verbundenen Absichten sich wieder derart einbürgere, dass das Ziel, sie aus dem Bild des politischen Lebens Deutschlands grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht werde und dies zur Folge habe, dass sie von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen stehe, wieder gefahrlos gebraucht werden könne15. Diese Erwägungen gelten vorliegend entsprechend.

Ein weiterer Verstoß gegen § 7 SG in der Gestalt, dass er vom Soldaten die Wahrung der Rechtsordnung, insbesondere vorliegend des § 86a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB verlangt, liegt nicht vor. Ein Verwenden nationalsozialistischer Kennzeichen in der Öffentlichkeit ist weder angeschuldigt noch ersichtlich16.

Anders als vom Truppendienstgericht angenommen, hat der Soldat mit seinem Verhalten auch gegen die politische Treuepflicht nach § 8 Alt. 2 SG verstoßen.

Die unabhängig vom Dienstgrad bestehende Pflicht eines Soldaten nach § 8 SG verlangt von diesem, die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes zum einen anzuerkennen und zum anderen, durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung einzutreten. Es handelt sich um eine Kernpflicht des Soldaten, deren Verletzung stets schwer wiegt. Der Begriff „freiheitliche demokratische Grundordnung“ in § 8 SG ist identisch mit dem Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie er bezogen auf Art. 21 Abs. 2 GG konturiert worden ist. Daraus folgt eine Konzentration auf wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Ausgangspunkt für die Bestimmung des Begriffsinhalts ist danach die Würde des Menschen und das Demokratieprinzip, für das die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller am politischen Willensbildungsprozess sowie die Rückbindung der Ausübung von Staatsgewalt an das Volk maßgeblich ist. Schließlich erfasst der Begriff den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit.

Mit der politischen Treuepflicht ist folglich ein Verhalten unvereinbar, das objektiv geeignet oder gar darauf angelegt ist, die Ziele des NS-Regimes zu verharmlosen sowie Kennzeichen, Symbole oder sonstige Bestandteile der NS-Ideologie (wieder) gesellschaftsfähig zu machen. Denn das Grundgesetz bildet gleichsam den „Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes“17.

Die Verpflichtung zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung nach § 8 Alt. 2 SG geht weiter als die Pflicht zu ihrer Anerkennung gemäß § 8 Alt. 1 SG. Sie verlangt, dass der Soldat sich nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die den Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren. Ein Soldat darf daher auch nicht entgegen seiner inneren verfassungstreuen Gesinnung nach außen hin verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützen und sich objektiv betrachtet illoyal verhalten18.

Nach Maßgabe dessen hat der Soldat zwar nicht gegen die Verpflichtung zur Anerkennung der freiheitlich demokratischen Grundordnung verstoßen, wohl aber des Eintretens für sie.

Das Bundesverwaltungsgericht ist davon überzeugt, dass der Soldat keine nationalsozialistische Gesinnung hat. Dies folgt aus dem Eindruck, den er mit seinen Einlassungen in der Berufungshauptverhandlung beim Bundesverwaltungsgericht hinterlassen hat. Er wird bestätigt durch seine früheren Einlassungen, durch die Stellungnahmen der Disziplinarvorgesetzten, der Mitteilung des Militärischen Abschirmdienstes und durch die Aussagen der Stubenkameraden. Vor allem letztere haben nicht von Äußerungen berichtet, die Rückschlüsse auf eine nationalsozialistische Gesinnung des Soldaten zulassen. Dem steht auch nicht die – am 20.06.2018 außergerichtlich zu Protokoll gegebene – Aussage des Hauptmanns … entgegen; vom Soldaten seien anlässlich einer politischen Bildungsreise unpassende politische Bemerkungen geäußert worden. So habe der Soldat – seiner Erinnerung nach – geäußert, dass eine deutliche Unterscheidung zwischen Wehrmacht und SS getroffen werden müsse, da erstere sich nur zu geringen Anteilen an den Gräueltaten des Dritten Reiches beteiligt habe. Des Weiteren habe er „Vorfälle“ damit entschuldigt, dass auch andere Nationen Kriegsverbrechen begangen hätten. Selbst wenn diese vom Soldaten ausdrücklich in Abrede gestellten Äußerungen zuträfen, wären sie zwar gemeinhin dem politisch rechten Meinungsspektrum zuzuordnen, jedoch würde sich darin noch keine nationalsozialistische Gesinnung manifestieren. Ungeachtet der historischen Fragwürdigkeit der Behauptungen bewegen sie sich noch im Bereich des nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG, § 15 Abs. 1 Satz 2 SG Zulässigen19.

Bereits mit dem Einbringen und dem Aufbewahren der Hakenkreuz-Tasse hat er indes objektiv den Eindruck erweckt, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu unterstützen und sich damit illoyal zu verhalten20. Denn beim Batteriefeldwebel und der Vertrauensperson, welche die Tasse zur Kenntnis genommen haben, wurden dadurch Irritationen über die politische Gesinnung des Soldaten erzeugt.

Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht das Bundesverwaltungsgericht in seiner gefestigten Rechtsprechung21 von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:

Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen“.

Ist das Verhalten eines Soldaten Ausdruck einer nationalsozialistischen Gesinnung, ist grundsätzlich die Höchstmaßnahme zu verhängen22. Denn damit liegt sowohl eine Verletzung der Anerkennungspflicht aus § 8 Alt. 1 SG als auch der Eintretenspflicht aus § 8 Alt. 2 SG vor.

Beruht die Verwendung nationalsozialistischer Kennzeichen indes nicht auf einer verfassungsfeindlichen Einstellung, ist die Dienstgradherabsetzung zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zu machen. Dazu gehört etwa das Erweisen des sogenannten Hitlergrußes23. Dies hat seinen Grund darin, dass er Außenstehenden als Ausdruck der Verehrung des Führers des nationalsozialistischen Unrechtsregimes erscheinen muss und dass die öffentliche Verwendung dieses nationalsozialistischen Kennzeichens im Inland nach § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB strafrechtlich untersagt ist. Ebenso spricht auch in anderen Fällen die strafrechtliche Ächtung eines entsprechenden Verhaltens für die Dienstgradherabsetzung als Regelmaßnahme, wobei die spezifisch strafrechtlichen Einschränkungen24 für die disziplinarrechtliche Einstufung nicht so bedeutsam sind, dass sie für eine Dienstgradherabsetzung nach § 58 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 62 WDO zwingend vorliegen müssen25. Zeigt ein Soldat hingegen niedrigschwelligere, bagatellisierende Verhaltensweisen von einigem Gewicht, bildet grundsätzlich ein Beförderungsverbot den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Angesichts der großen Bandbreite möglicher niedrigschwelliger Verletzungen der politischen Treuepflicht ist eine Typisierung in diesem Bereich allerdings nur eingeschränkt möglich. Insbesondere bei einmaligen, unüberlegten oder aus jugendlicher Unreife verübten Verstößen im niedrigschwelligeren Bereich können gerichtliche Disziplinarmaßnahmen nach Maßgabe des § 38 Abs. 1 WDO unangemessen sein26.

Nach diesen Maßstäben bildet ein Beförderungsverbot nach § 58 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 60 WDO den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Zwar handelt es sich beim Hakenkreuz um ein zentrales Symbol des Nationalsozialismus, dessen öffentliche Verwendung und Verbreitung – wie bereits dargelegt – grundsätzlich strafbewehrt ist. Dem steht in disziplinarrechtlicher Hinsicht eine Verwendung im Dienst und in dienstlichen Anlagen gleich; jedoch wirft die Anschuldigungsschrift dem Soldaten lediglich das Einbringen und Aufbewahren vor. Das Einbringen und Verwahren ist aber regelmäßig nur eine Vorbereitungshandlung zum Verwenden und Verbreiten. Darauf lag auch hier der Schwerpunkt des tatsächlichen Geschehens, da sich das nicht angeschuldigte vorsätzliche Verwenden der Tasse nur in kleinem Kreis gegenüber zwei Kameraden auf einer Stube abgespielt hat. Für die disziplinare Ahndung des reinen Einbringens und Verwahrens verfassungswidriger Kennzeichen ist ein Beförderungsverbot ausreichend.

Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer Milderung oder die Notwendigkeit einer Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach „oben“ bzw. nach „unten“ zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemessungskriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, dem Wehrdienstgericht einen Spielraum eröffnet. Dabei müssen die Milderungsgründe umso gewichtiger sein, je schwerer das Dienstvergehen wiegt27. Nach Maßgabe dessen verlangen Milderungsgründe den Übergang zur milderen Maßnahmeart in Form der Kürzung der Dienstbezüge (§ 58 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 59 WDO).

Zwar hat der Soldat nicht nur gegen § 8 SG, sondern auch gegen die Pflichten aus § 7 SG sowie § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verstoßen; auch ist das Dienstvergehen in der Einheit bekannt geworden, so dass eine nachteilige Folge des Dienstvergehens vorliegt. Als nachteilige Folgen außer Betracht zu bleiben hat jedoch die disziplinarische Ahndung der Stubenkameraden. Ungeachtet dessen, dass der Soldat nicht unkameradschaftlichen Verhaltens angeschuldigt worden ist, würde dies dazu führen, deren Verhalten auf ihn abzuwälzen, obgleich es sich um autonome Entscheidungen handelte, auf die der Soldat auch nicht Einfluss zu nehmen versucht hatte.

Dass der Soldat keine Vorgesetztenfunktion eingenommen hat, wirkt – anders als vom Truppendienstgericht angenommen – nicht mildernd, weil § 10 SG einen ausschließlich erschwerenden Umstand bildet28 und § 8 SG eine dienstgradunabhängige soldatische Pflicht begründet; mildernd wirkt demgegenüber, dass dem Soldaten wegen des Dienstvergehens ausweislich der Personalakte eine konkret anstehende Beförderung entgangen ist29. Dies gebietet den Übergang zur milderen Maßnahmeart.

Soweit es den Umfang der Kürzung der Dienstbezüge betrifft, war es zwar zum erstinstanzlichen Entscheidungszeitpunkt gerechtfertigt, sie wegen der Unrechtseinsicht, der Reue und der – trotz der Last des Disziplinarverfahrens – kontinuierlich guten Leistungen des Soldaten auf ein Zehntel für 19 Monate zu beschränken; die Persönlichkeit des Soldaten beurteilt sich allerdings aktuell nicht mehr vergleichbar positiv. Denn ausweislich des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts … vom 21.05.2021 hat er sich trotz des laufenden disziplinargerichtlichen Verfahrens nicht davon abhalten lassen, in dienstlichem Kontext in zahlreichen Fällen gegen die Rechtsordnung zu verstoßen. In Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 38 Abs. 2 WDO gebietet dies eine Verschärfung der Disziplinarmaßnahme durch eine Erhöhung des Kürzungszeitraums auf 24 Monate30.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 4. November 2021 – 2 WD 25.20

  1. zur Umgrenzungs- und Informationsfunktion: BVerwG, Beschluss vom 13.04.2021 – 2 WDB 1.21 – NZWehrr 2021, 212 <213 ff.> []
  2. vgl. BVerwG, Urteil vom 14.10.2021 – 2 WD 26.20, Rn. 25 []
  3. BVerwG, Urteil vom 14.10.2021 – 2 WD 26.20, Rn. 27 m.w.N. []
  4. BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 – 2 WD 25.04 – NZWehrr 2007, 28 []
  5. vgl. BVerwG, Urteil vom 14.10.2021 – 2 WD 26.20, Rn. 28 []
  6. BVerwG, Urteil vom 28.08.2019 – 2 WD 28.18, Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 68 Rn. 47 []
  7. Status, Dienstposten []
  8. Vorbildung, dienstlicher Werdegang []
  9. BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 – 2 WD 20.18, Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 66 Rn. 59 []
  10. BVerwG, Urteil vom 02.07.2020 – 2 WD 9.19, Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 80 Rn. 26 m.w.N. []
  11. BVerwG, Urteil vom 04.05.2021 – 2 WD 16.20 28 []
  12. BVerwG, Urteil vom 17.09.2020 – 2 C 2.20, BVerwGE 169, 254 – 268 []
  13. BGH, Urteil vom 23.07.1969 – 3 StR 326/68, BGHSt 23, 65 f., Rn. 49 []
  14. BGH, Urteil vom 23.07.1969 – 3 StR 326/68, BGHSt 23, 65, Rn. 42 f. []
  15. BGH, Urteil vom 15.03.2007 – 3 StR 486/06 – BGHSt 51, 244, Rn. 5; vgl. auch OLG München, Urteil vom 14.07.2005 – 5St RR 114/05 – NStZ-RR 2005, 371 f. – sowie LG Koblenz, Beschluss vom 17.11.2008 – 2 Qs 87/08 – NStZ-RR 2009, 105 – 106 []
  16. vgl. dazu BGH, Beschluss vom 19.08.2010 – 3 StR 301/10 – NStZ 2011, 575 f. []
  17. vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.11.2009 – 1 BvR 2150/08, BVerfGE 124, 300 <328> zusammenfassend: BVerwG, Urteil vom 22.10.2008 – 2 WD 1.08, BVerwGE 132, 179 Rn. 54 []
  18. BVerwG, Urteil vom 18.06.2020 – 2 WD 17.19, BVerwGE 168, 323 Rn. 36 ff. []
  19. vgl. BVerwG, Urteil vom 01.07.2020 – 2 WD 15.19, BVerwGE 169, 66 ff. []
  20. BVerwG, Beschluss vom 18.11.2003 – 2 WDB 2.03, BVerwGE 119, 206 <214> []
  21. vgl. BVerwG, Urteil vom 10.02.2010 – 2 WD 9.09 35 ff. []
  22. BVerwG, Urteile vom 28.02.2002 – 2 WD 35.01, Buchholz 236.1 § 8 SG Nr. 4 S. 24 f.; und vom 17.11.2017 – 2 C 25.17, BVerwGE 160, 370 Rn. 25 f.; Beschlüsse vom 29.08.2002 – 2 WDB 6.02, Rn. 24; und vom 09.10.2019 – 2 WDB 3.19, Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 8 Rn. 23 []
  23. BVerwG, Urteil vom 23.03.2017 – 2 WD 16.16 76 []
  24. Inlandsbezug, Öffentlichkeit []
  25. vgl. BVerwG, Urteil vom 17.11.2017 – 2 C 25.17, BVerwGE 160, 370 Rn. 29, 74, 76 []
  26. BVerwG, Urteil vom 18.06.2020 – 2 WD 17.19, BVerwGE 168, 323 Rn. 47 f. []
  27. BVerwG, Urteil vom 02.11.2017 – 2 WD 3.17 – Die Bundeswehr 2020, Nr. 9, 80 f. <81> Rn. 73 m.w.N. []
  28. BVerwG, Urteil vom 03.06.2021 – 2 WD 18.20 29 []
  29. BVerwG, Urteil vom 21.06.2018 – 2 WD 4.18 – NZWehrr 2020, 114 – 117 []
  30. BVerwG, Urteil vom 28.09.2021 – 2 WD 11.21, Rn. 44 []