TVÜ-Besitzstandszulage Kind – und die bestandskräftige Ablehnung des Kindergeldanspruchs

Der Anspruch auf die „Besitzstandszulage Kind“ gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder setzt den tatsächlichen Bezug von Kindergeld auf der Grundlage einer entsprechenden Festsetzung der Familienkasse voraus.

Der Kindergeldbezug muss, außer in den Fällen des – hier nicht einschlägigen – § 11 Abs. 1 Satz 3 TVÜ-Länder, ununterbrochen sein. Die bloße materielle Anspruchsberechtigung ohne eine entsprechende Festsetzung reicht hierfür nicht aus.

Das ergibt für das Bundesarbeitsgericht die Auslegung des Tarifvertrags1.

Bereits im Wortlaut der als reine Besitzstandsregelung ausgestalteten Bestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder ist die Differenzierung danach, ob der Besitzstand ununterbrochen fortbesteht, dh. das Kindergeld ununterbrochen fortgezahlt wird, oder der Anspruch auf Kindergeld, an den der schützenswerte Besitzstand knüpft – sei es auch nur vorübergehend – untergeht, eindeutig angelegt2. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder besteht der Anspruch auf die Besitzstandszulage nur so lange, wie für die im Oktober 2006 zu berücksichtigenden Kinder ohne Unterbrechung Kindergeld „gezahlt“ wird oder ohne Berücksichtigung der §§ 64, 65 EStG oder der §§ 3, 4 BKGG gezahlt würde. Die erste Alternative erfordert daher die – grundsätzlich ununterbrochene – Festsetzung und Zahlung von Kindergeld. Nur in der zweiten Alternative, dh. bei dem Zusammentreffen mehrerer Kindergeldberechtigter oder der Kollision mit anderen Leistungen, reicht nach dem Tarifwortlaut die bloße Kindergeldberechtigung als Voraussetzung für den Erhalt der Besitzstandszulage aus3 und wird diese dem tatsächlichen Kindergeldbezug gleichgestellt. Aufgrund dieser eindeutigen Unterscheidung verbietet es sich, die erste Alternative („gezahlt wird“) – wie von der Revision gefordert – im Lichte der zweiten Alternative („gezahlt würde“) über den Wortlaut hinaus extensiv auszulegen.

Vielmehr haben die Tarifvertragsparteien durch die im Vergleich zur Vorgängerregelung in § 29 Abschnitt B Abs. 3 BAT geänderte Wortwahl klargestellt, dass die Zulage nach § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA nur noch reiner Besitzstandsschutz, nicht aber mehr Beitrag zu den durch Kinder ausgelöste Unterhaltslasten ist4. Nach § 29 Abschnitt B Abs. 3 BAT kam es für den Anspruch auf den kinderbezogenen Entgeltbestandteil im Ortszuschlag nur darauf an, dass dem Beschäftigten Kindergeld „zusteht“. Das war auch dann der Fall, wenn es an einer formalen Festsetzung des Kindergeldes fehlte oder dieses nicht gezahlt wurde5. Demgegenüber ist Voraussetzung für die Zulage nach § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA, dass Kindergeld „gezahlt“ wird. Damit haben die Tarifvertragsparteien deutlich gemacht, dass sie sich von dem bis dahin bestehenden Automatismus zwischen Kindergeldanspruch und Anspruch auf kinderbezogene Entgeltbestandteile lösen wollten und die Zulage mit Ausnahme der abschließend geregelten Sonderfälle nur solange gezahlt werden sollte, wie tatsächlich Kindergeld gezahlt wird.

Diesem Wortlautverständnis entsprechen Sinn und Zweck dieser Besitzstandsregelung. Die Tarifvertragsparteien haben den Bestand des Anspruchs auf die Besitzstandszulage im Grundsatz an den ununterbrochen fortbestehenden Kindergeldbezug geknüpft. Sie wollten nur den tatsächlichen, individuellen Besitzstand der übergeleiteten Beschäftigten, wie er im Monat vor der Überleitung bestand, schützen. Dieser Besitzstand erlischt mit der Einstellung der Kindergeldzahlung, sofern nicht einer der in § 11 Abs. 1 Satz 3 TVÜ-Länder abschließend aufgezählten Ausnahmefälle vorliegt6. Für die Zeit des fortbestehenden Besitzstands haben die Tarifvertragsparteien zu erkennen gegeben, dass sie widersprüchliche Entscheidungen über Kindergeld und Besitzstandszulage vermeiden wollten. Der Anspruch auf das Kindergeld und die Besitzstandszulage sollen insoweit kein unterschiedliches rechtliches Schicksal erfahren. Solange Kindergeld seit der Überleitung des Beschäftigten in den TV-L ununterbrochen festgesetzt ist und daher gezahlt wird, ist deshalb auch die Besitzstandszulage zu gewähren. Umgekehrt entfällt der Anspruch auf die Besitzstandszulage, wenn die Kindergeldfestsetzung bestandskräftig abgelehnt oder aufgehoben ist. Er entsteht nur in den von § 11 Abs. 1 Satz 3 TVÜ-Länder erfassten Fällen neu, wenn die Kindergeldzahlung wieder auflebt7. Damit haben die Tarifvertragsparteien in zulässiger Weise pauschalisierend auf die – sei es auch nur vorübergehende – Einstellung des Kindergeldbezugs abgestellt und diese zum Anlass genommen, den Anspruch auf die Besitzstandszulage endgültig untergehen zu lassen8. Daher ist es entgegen der Annahme der Revision unzureichend, wenn der Beschäftigte lediglich „materiell kindergeldberechtigt“ in dem Sinne ist, dass er die Voraussetzungen der §§ 62, 63 EStG erfüllt, solange diese Berechtigung nicht in einem entsprechenden Festsetzungsbescheid (vgl. § 70 Abs. 1 Satz 1 EStG) ihren Ausdruck gefunden hat9, auf dessen Grundlage die Kindergeldzahlung erfolgt. Dies ist auch dann der Fall, wenn der Beschäftigte einen zwar rechtswidrigen, weil in der Sache unrichtigen, aber nicht nichtigen Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheid nicht mit Einspruch und/oder Klage angreift und bestandskräftig werden lässt. Die aus der Bestandskraft resultierende „prozessuale Nichtdurchsetzbarkeit“ des Kindergeldanspruchs führt entgegen der Auffassung der Revision ungeachtet einer etwaig bestehenden „materiellen Anspruchsberechtigung“ im Hinblick auf das Kindergeld nach der tariflichen Ausgestaltung zum Untergang des Anspruchs auf die „Besitzstandszulage Kind“.

Der Beschäftigte ist insoweit auch nicht schutzlos gestellt. Es steht ihm offen, die behördliche Entscheidung über die Versagung von Kindergeld fristgerecht gerichtlich überprüfen zu lassen, um so mittelbare negative Folgen für seine Vergütung zu verhindern10. Das hat die Klägerin versäumt und den Bescheid vom 29.05.2013 bestandskräftig werden lassen.

Die hiergegen angeführten systematischen Erwägungen bedingen kein anderes Auslegungsergebnis. Entgegen der Annahme der Revision folgt aus der Verwendung des Begriffs der „Kindergeldberechtigung“ in § 11 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 TVÜ-Länder nicht, dass die Tarifvertragsparteien die materielle Kindergeldberechtigung als ausreichend angesehen haben. Diese Regelung stellt im Gegenteil klar, dass – sofern kein Fall der später eingefügten Protokollerklärung Nr. 3 zu § 11 Abs. 1 TVÜ-Länder vorliegt – bereits ein Wechsel in der Person des Kindergeldberechtigten zum Erlöschen des Anspruchs auf die Besitzstandszulage führt, weil nur der individuelle, im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Tarifrechts bestehende Besitzstand geschützt werden sollte11. Die Regelung in § 11 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 TVÜ-Länder setzt damit ebenfalls den ununterbrochenen Bezug von Kindergeld voraus und soll lediglich Überzahlungen vermeiden12.

Soweit auf die Protokollerklärungen Nr. 1 und Nr. 3 zu § 11 Abs. 1 TVÜ-Länder verwiesen wird, folgt aus diesen nichts Anderes. Sie regeln gerade nicht die hier streitbefangene Frage, ob der Anspruch auf die Besitzstandszulage den tatsächlichen Kindergeldbezug voraussetzt oder nicht. Einen Rückschluss auf den Bedeutungsgehalt des § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder lassen sie darum nicht zu. Die Protokollerklärung Nr. 1 zu § 11 Abs. 1 TVÜ-Länder erfasst mit dem Ruhen des Entgeltanspruchs des Beschäftigten selbst im Stichmonat Oktober 2006 eine andere Tatbestandsvoraussetzung der streitbefangenen Zulage. Die Protokollerklärung Nr. 3 zu § 11 Abs. 1 TVÜ-Länder regelt wiederum den Wechsel der Kindergeldberechtigung, ohne auf den ununterbrochenen Kindergeldbezug für das Kind zu verzichten.

Dem Auslegungsergebnis stehen die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 08.12.201113 nicht entgegen. Diese befassen sich nicht mit der Tatbestandsvoraussetzung der ununterbrochenen Zahlung von Kindergeld, sondern derjenigen des kinderbezogenen Entgeltbestandteils des BAT/BAT-O oder MTArb/MTArb-O für „zu berücksichtigende Kinder“ in der für den Stichmonat Oktober 2006 „zustehenden“ Höhe. Aus diesen Formulierungen hat das Bundesarbeitsgericht geschlossen, dass die Anspruchsberechtigung des Beschäftigten auf diese kinderbezogenen Entgeltbestandteile im Stichmonat Oktober 2006 als Voraussetzung für den Erhalt des Anspruchs auf die „Besitzstandszulage Kind“ ausreichend sei. Die tatsächliche Zahlung dieses Entgeltbestandteils durch den Arbeitgeber setze der Tarifvertrag hingegen nicht voraus14. Dies ist bei der vorliegend streitigen Tatbestandsvoraussetzung anders. Hier fordert – wie dargelegt – der Tarifvertrag, dass Kindergeld tatsächlich gezahlt wird.

Der Anspruch auf die „Besitzstandszulage Kind“ des § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder erlischt damit mit dem Ende der Kindergeldzahlung bzw. mit dem Ende des Zeitraums, für den ohne Berücksichtigung der §§ 64, 65 EStG oder der §§ 3, 4 BKGG Kindergeld gezahlt würde. Wird die Kindergeldzahlung nach einer Unterbrechung später wieder aufgenommen, lebt die Besitzstandszulage nur in den in § 11 Abs. 1 Satz 3 TVÜ-Länder abschließend aufgezählten Fällen, in denen die Unterbrechung vom Tarifvertrag ausdrücklich als unschädlich bezeichnet wird, wieder auf. Insoweit stehen § 11 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 TVÜ-Länder in einem eindeutigen und abschließenden Regel-Ausnahmeverhältnis. Hätten die Tarifvertragsparteien Satz 3 dieser Bestimmung nur beispielhaft gemeint, hätten sie dies mit Zusätzen wie „zum Beispiel“, „insbesondere“ oder „etwa“ deutlich gemacht15. Soweit für den Fall einer Unterbrechung der Kindergeldzahlung aufgrund verspäteter Antragstellung (vgl. § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG) bei dem Grunde nach durchgängig bestehender Kindergeldberechtigung die „Besitzstandszulage Kind“ abweichend von den tariflichen Regelungen mit Wiederaufnahme der Kindergeldzahlung fortgezahlt wird16, geschieht dies übertariflich. § 11 TVÜ-Länder gebietet dies nicht.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. Juni 2022 – 6 AZR 465/21

  1. vgl. zu den Auslegungsgrundsätzen zuletzt etwa BAG 1.12.2020 – 9 AZR 104/20, Rn. 24 mwN; 7.02.2019 – 6 AZR 44/18, Rn. 27 mwN []
  2. vgl. BAG 14.04.2011 – 6 AZR 734/09, Rn. 21 zum inhaltsgleichen § 11 TVÜ-VKA []
  3. vgl. BAG 13.08.2009 – 6 AZR 319/08, Rn. 26 iVm. Rn.20, 27 []
  4. vgl. BAG 14.04.2011 – 6 AZR 734/09, Rn. 21 []
  5. BAG 13.03.2008 – 6 AZR 294/07, Rn. 15 []
  6. vgl. BAG 14.04.2011 – 6 AZR 734/09, Rn. 21 zum inhaltsgleichen § 11 TVÜ-VKA []
  7. BAG 25.04.2013 – 6 AZR 711/11, Rn. 15 zum inhaltsgleichen § 11 TVÜ-Bund []
  8. vgl. BAG 14.04.2011 – 6 AZR 734/09, Rn. 23 []
  9. vgl. BAG 25.04.2013 – 6 AZR 711/11, Rn. 13 []
  10. vgl. BAG 13.03.2008 – 6 AZR 294/07, Rn. 15 []
  11. vgl. BAG 30.10.2008 – 6 AZR 712/07, Rn. 8 ff, BAGE 128, 219 []
  12. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L TVÜ-Länder Stand Dezember 2012 Rn. 334 []
  13. BAG 8.12.2011 – 6 AZR 452/10 und 6 AZR 397/10, BAGE 140, 99 []
  14. BAG 8.12.2011 – 6 AZR 452/10, Rn. 12 ff.; 8.12.2011 – 6 AZR 397/10, Rn. 21 ff., aaO []
  15. BAG 14.04.2011 – 6 AZR 734/09, Rn. 13 zum inhaltsgleichen § 11 TVÜ-VKA []
  16. vgl. zu dieser Handhabung die Hinweise bei Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L Stand Juli 2021 TVÜ-Länder Rn. 332b auf die 10./2017 Mitgliederversammlung der TdL am 13./14.12.2017 bzw. das BMI-Rundschreiben vom 25.05.2018 – D5-31002/9#1 – sowie bei Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD TVÜ-Bund/TVÜ-VKA Stand Dezember 2019 Rn. 132a auf das VKA-Rundschreiben vom 16.03.2018 – R 22/2018 []